Die Liebe in den Zeiten der Cholera
hatte sie einen Teil ihres Schatzes geladen: dreihundert Kisten mit Silber aus Peru und Veracruz und hundertzehn Kisten mit Perlen, auf der Insel Contadora gesammelt und abgezählt. Während des langen Monats, den sie hier blieb und dessen Tage und Nächte ein einziges Volksfest waren, wurde der Rest des Schatzes geladen, dazu bestimmt, das Königreich Spanien aus der Armut zu befreien: hundertsechzehn Kisten mit Smaragden aus Muzo und Somondoco und dreißig Millionen Goldmünzen.
Die Festlandflotte bestand aus nicht weniger als zwölf Schiffen unterschiedlicher Größe, und sie verließ diesen Hafen im Konvoi mit einem gutbewaffneten französischen Geschwader, das die Expedition jedoch nicht vor den treffsicheren Kanonenschüssen des englischen Geschwaders schützen konnte, das sie, unter Befehl des Kommandanten Carlos Wager, am Ausgang der Bucht im Archipel von Sotavento erwartete. Also war die San Jose nicht das einzige versenkte Schiff, obwohl es nicht urkundlich belegt war, wie viele Schiffe untergegangen waren und wie viele es geschafft hatten, dem Feuer der Engländer zu entkommen. Keinerlei Zweifel bestand aber darüber, daß das Flaggschiff eines der ersten gewesen war, das mit der gesamten Mannschaft und dem unbewegt auf der Brücke ausharrenden Kommandanten versenkt worden war, und daß allein dieses Schiff die größte Fracht geladen hatte.
Florentino Ariza hatte die Route der Galeonen auf den Seekarten der Zeit studiert und glaubte die Stelle des Schiffbruchs geortet zu haben. Sie fuhren zwischen den beiden Festungen der Boca Chica aus der Bucht und erreichten nach vier Stunden auf See das stille Gewässer innerhalb des Archipels, auf dessen Korallengrund man die schlafenden Langusten mit der Hand greifen konnte. Die Luft war so dünn und das Meer so ruhig und durchsichtig, daß es Florentino Ariza war, als sei er sein eigenes Spiegelbild auf dem Wasser. Am Ende dieses ruhigen Gewässers, zwei Stunden von der Hauptinsel entfernt, war der Ort des Schiffbruchs. In seinem Begräbnisanzug unter der höllischen Sonne leidend, wies Florentino Ariza Euclides an, er solle auf zwanzig Meter hinuntertauchen und ihm, was auch immer, vom Meeresgrund heraufbringen. Das Wasser war so klar, daß er Euclides hinuntergleiten sah, ein verschmutzter Hai zwischen den blauen Haien, die an ihm vorbeischwammen, ohne ihn zu berühren. Dann sah er ihn im Korallengestrüpp verschwinden, und gerade als er dachte, die Luft müsse ihm ausgegangen sein, hörte er seine Stimme im Rücken. Euclides stand mit erhobenen Armen auf dem Grund, das Wasser bis zur Taille. Also suchten sie weiter, nach tieferen Stellen, fuhren immer nordwärts, über sonnenwarme Rochen, schüchterne Tintenfische und die Rosenbüsche des Nebels hinweg, bis Euclides klar wurde, daß sie Zeit verschwendeten.
»Wenn Sie mir nicht sagen, was ich finden soll, wie soll ich es dann finden«, sagte der Junge.
Er sagte es ihm aber nicht. Daraufhin schlug Euclides ihm vor, sich auszuziehen und mit ihm hinunterzutauchen, und sei es nur, um diesen anderen Himmel unter der Welt zu sehen, den Korallengrund. Florentino Ariza vertrat aber die Meinung, daß Gott das Meer nur geschaffen habe, damit man es durchs Fenster sehen könne, und hatte nie schwimmen gelernt. Kurze Zeit später wurde der Nachmittag bewölkt, die Luft kalt und feucht, und es dunkelte so rasch, daß sie sich nach dem Leuchtturm richten mußten, um den Hafen zu finden. Bevor sie in die Bucht fuhren, sahen sie, hellerleuchtet, riesig und weiß, den Überseedampfer aus Frankreich ganz nah an ihnen vorüberziehen, er hinterließ eine Duftspur von zartem Kochfleisch und blanchiertem Blumenkohl.
So verschwendeten sie drei Sonntage und hätten alle weiteren vertan, wenn Florentino Ariza sich nicht doch entschlossen hätte, sein Geheimnis mit Euclides zu teilen. Dieser änderte daraufhin den gesamten Suchplan, sie fuhren nun den alten Kanal der Galeonen ab, der mehr als zwanzig Seemeilen östlich des von Florentino Ariza berechneten Ortes lag. Es waren noch keine zwei Monate vergangen, als, an einem Regennachmittag auf See, Euclides sehr lange unter Wasser blieb und dann, da der Kahn inzwischen so weit abgetrieben war, fast eine halbe Stunde schwimmen mußte, um ihn zu erreichen, Florentino Ariza gelang es nämlich nicht heranzurudern. Als es Euclides endlich geschafft hatte, ins Boot zu klettern, holte er, wie als Preis für die Beharrlichkeit, zwei Schmuckstücke aus dem Mund.
Was er dann erzählte,
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