Die Liebe in den Zeiten der Cholera
faszinierte Florentino Ariza so sehr, daß er sich schwor, schwimmen zu lernen und so weit wie möglich zu tauchen, nur um es mit eigenen Augen sehen zu können. Euclides erzählte, daß an jener Stelle, in nur achtzehn Meter Tiefe, so viele alte Segelschiffe zwischen den Korallen lägen, daß es unmöglich sei, ihre Zahl auch nur zu schätzen, so weit der Blick reiche, lägen sie umher. Das Erstaunlichste sei, erzählte er, daß keiner der alten Pötte, die sich in der Bucht noch über Wasser hielten, in einem so gutem Zustande wie die gesunkenen Schiffe sei. Er erzählte, daß die Segel vieler Karavellen noch intakt und daß die Schiffe auf dem Grund gut sichtbar seien, als wären sie mit ihrer Zeit und in ihrem Raum versunken, so daß sie dort von derselben Elf-Uhr-Vormittagssonne des 9. Juni beschienen würden, an dem sie auf Grund gegangen waren. Am Überschwang seiner eigenen Einbildungskraft schier erstickend, erzählte er, daß die Galeone San Jose am leichtesten zu erkennen sei, der Name stehe in Goldlettern am Achtersteven, zugleich aber sei sie das von der englischen Artillerie am stärksten zerstörte Schiff. Er erzählte, er habe einen Kraken darin gesehen, mindestens dreihundert Jahre alt, dessen Tentakeln sich durch die Kanonenluken tasteten, er sei im Speisesaal wohl derart gewachsen, daß man das Schiff zertrümmern müßte, um ihn zu befreien. Er erzählte, er habe die Leiche des Kommandanten gesehen, der in seiner Kriegsuniform auf der Seite im Vorderkastell wie in einem Aquarium treibe, und daß er, nur weil er keine Luft mehr in den Lungen gehabt habe, nicht bis in die Laderäume zu dem Schatz hinuntergetaucht sei. Hier seien die Beweise: ein Ohrring mit einem Smaragd und ein Anhänger mit der Jungfrau an einer vom Salpeter zerfressenen Kette. Damals erwähnte Florentino Ariza den Schatz zum ersten Mal in einem Brief an Fermina Daza, den er kurz vor ihrer Rückkehr nach Fonseca schickte. Die Geschichte der gesunkenen Galeone war ihr vertraut, sie hatte sie oft von Lorenzo Daza gehört, der Zeit und Geld verschwendet hatte, um eine deutsche Tauchergesellschaft dafür zu gewinnen, mit ihm gemeinsam den versunkenen Schatz zu heben. Er hätte an diesem Plan festgehalten, hätten ihn nicht mehrere Mitglieder der Akademie für Geschichte davon überzeugt, daß die Mär vom Schiffbruch der Galeone von einem räuberischen Vizekönig erfunden worden sei, der sich auf diese Weise die Reichtümer der Krone unter den Nagel gerissen habe. Jedenfalls wußte Fermina Daza, daß die Galeone in zweihundert Meter Tiefe lag, unerreichbar für jedes menschliche Wesen, und nicht auf zwanzig Meter, wie Florentino Ariza behauptete. Aber sie war seine poetischen Exzesse so gewohnt, daß sie das Galeonenabenteuer als einen der gelungensten feierte.
Als sie jedoch weitere Briefe mit noch phantastischeren Einzelheiten erhielt, mit dem gleichen Ernst geschrieben wie seine Liebesschwüre, gestand sie Hildebranda ihre Befürchtung ein, daß der überspannte Verlobte den Verstand verloren habe.
In jenen Tagen hatte Euclides bereits so viele Beweise für seine Fabel heraufgebracht, daß es nicht mehr darum gehen konnte, weiterhin verstreute Ringe und Ohrringe zwischen den Korallen einzusammeln, sondern Geld für ein großangelegtes Unternehmen aufzutun, um die halbe Hundertschaft von Schiffen mitsamt des babylonischen Vermögens, das sie in sich trugen, zu heben. Dann geschah, was früher oder später geschehen mußte, daß nämlich Florentino Ariza, um das Abenteuer zu einem guten Ende zu bringen, die Unterstützung seiner Mutter erbat. Diese biß in das Metall der Schmuckstücke, hielt die Glassteine gegen das Licht, und schon war ihr eindeutig klar, daß es da jemand gab, der sich an der Naivität ihres Sohnes gesundstieß. Euclides schwor Florentino Ariza auf Knien, daß nichts Trübes an dem Geschäft sei, ließ sich am folgenden Sonntag jedoch weder am Fischerhafen noch sonst wo wieder sehen. Das einzige, was Florentino Ariza von diesem Hereinfall blieb, war das Liebesnest im Leuchtturm. Dorthin war er eines Nachts, als sie der Sturm auf offenem Meer überrascht hatte, in Euclides Kahn gelangt, und seitdem ging er abends gern hin, um sich mit dem Leuchtturmwärter über die unzähligen Wunder der Erde und des Wassers zu unterhalten, die dieser kannte. Das war der Anfang einer Freundschaft, die so manchen Wandel in der Welt überlebte. Florentino Ariza lernte das Leuchtfeuer beschicken, zunächst noch mit Brennholz und
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