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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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übertrug der Vater ihr mit der Förmlichkeit einer sakralen Handlung die Befehlsgewalt über das Haus.
    »Ich übergebe dir die Schlüssel deines Lebens«, sagte er. Sie, siebzehn Jahre alt, nahm sie mit sicherer Hand und in dem Bewußtsein entgegen, daß jede Handbreit errungener Freiheit für die Liebe war. Am nächsten Tag, nach einer Nacht der schlechten Träume, wurde sie, als sie das Balkonfenster öffnete, zum ersten Mal von der Trübsal der Rückkehr heimgesucht, sie sah wieder den Platz im tristen Nieselregen, das Denkmal des enthaupteten Helden, die Marmorbank, auf die sich Florentino Ariza mit seinem Gedichtband zu setzen pflegte. Sie dachte nicht mehr an ihn als an den hoffnungslosen Verlobten, er war für sie der sichere Gatte, dem sie ganz verpflichtet war. Sie spürte, wie schwer die verlorene Zeit seit ihrer Abreise wog, wie mühselig es war, lebendig zu sein, und wieviel Liebe vonnöten sein würde, um ihren Mann so zu lieben, wie Gott es befahl. Es wunderte sie, daß er nicht, wie so oft trotz Regen, auf dem Platz war und daß sie von ihm keinerlei Zeichen empfangen hatte, nicht einmal durch eine Vorahnung, und plötzlich ließ sie der Gedanke erschauern, er könnte tot sein. Doch sie schloß diese dunkle Möglichkeit sofort aus, denn ihr fiel ein, daß sie, erregt von der bevorstehenden Rückkehr, vergessen hatten, in den Telegrammen der letzten Tage auszumachen, wie sie nach ihrer Rückkunft wieder Verbindung aufnehmen sollten.
    Florentino Ariza indes war davon überzeugt, daß sie noch nicht angekommen war, bis der Telegraphist von Riohacha ihm bestätigte, daß sie sich am Freitag auf demselben Schoner eingeschifft hatte, der am Tag zuvor wegen ungünstiger Winde nicht eingetroffen war. So lauerte er das Wochenende über auf irgendein Lebenszeichen in ihrem Haus und sah dann am Montag bei Einbruch der Dunkelheit durch die Fenster ein wanderndes Licht, das kurz vor neun Uhr im Balkonzimmer verlosch. Er schlief nicht, hatte ihn doch die gleiche angstvolle Übelkeit seiner früheren Liebesnächte erfaßt. Tránsite Ariza stand mit dem ersten Hahnenschrei auf, sie war besorgt, denn der Sohn war um Mitternacht in den Patio hinausgegangen und seitdem nicht wieder hereingekommen. Sie fand ihn nicht im Haus. Er irrte auf den Klippen umher und hatte unter Tränen des Jubels Liebesgedichte gegen den Wind geschrien, bis es endlich Tag wurde. Um acht Uhr saß er halb halluzinierend von der durchwachten Nacht unter den Arkaden des Cafe de la Parroquia. Er suchte nach einer Möglichkeit, Fermina Daza willkommen zu heißen, als ihn ein seismisches Beben erschütterte und sein Innerstes zerriß.
    Sie war es. Sie überquerte die Plaza de la Catedral in Begleitung von Gala Placidia, die Einkaufskörbe trug, und zum ersten Mal hatte Fermina Daza nicht die Schuluniform an. Sie war seit ihrer Abreise gewachsen, wirkte klarer, intensiver, und ihre Schönheit war geläutert von der Selbstbeherrschung einer erwachsenen Frau. Der Zopf war wieder gewachsen, hing aber nicht auf dem Rücken, sondern über die linke Schulter, und diese einfache Veränderung hatte ihr jeden kindlichen Zug genommen. Florentino Ariza blieb gebannt an seinem Platz stehen, bis die Erscheinung, ohne sich umzublicken, die Plaza überquert hatte. Doch die gleiche unwiderstehliche Macht, die ihn lahmte, zwang ihn dann, ihr nachzustürzen, als sie an der Kathedrale um die Ecke bog und sich im ohrenbetäubenden Lärm der Einkaufsgassen verlor. Er folgte ihr, ohne sich sehen zu lassen, entdeckte die alltäglichen Gesten, die Anmut, die frühe Reife jenes Wesens, das er auf der Welt am meisten liebte und das er zum ersten Mal in ganzer Natürlichkeit sah. Er staunte über die Leichtigkeit, mit der sie sich ihren Weg durch die Menge bahnte. Während Gala Placidia mit anderen Passanten zusammenstieß, mit ihren Körben hängenblieb und dann rennen mußte, um Fermina Daza nicht zu verlieren, trieb diese in ihrem eigenen Raum und in einer anderen Zeit durch das Straßengetümmel, ohne anzustoßen, wie eine Fledermaus in der Dunkelheit. Mit ihrer Tante Escolástica war sie oft im Geschäftsviertel gewesen, doch es hatte sich immer nur um kleine Einkäufe gehandelt, da ihr Vater alles, was im Haus gebraucht wurde, persönlich besorgte, nicht nur Möbel und Nahrungsmittel, sondern sogar die Wäsche der Frauen. Also war für sie jener erste Ausgang ein erregendes Abenteuer, das sie schon in ihren Kleinmädchenträumen verklärt hatte. Sie achtete weder auf die

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