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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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später, bevor die elektrische Energie über uns kam, mit Kannen voller Öl. Er lernte den Lichtstrahl ausrichten und mit Hilfe der Spiegel bündeln, und des öfteren, wenn der Leuchtturmwärter verhindert war, wachte er vom Turm aus über die Meeresnacht. Er lernte die Schiffe am Klang ihrer Sirene und an der Größe ihrer Lichter am Horizont erkennen und nahm wahr, wie in den Blitzen des Leuchtturms etwas von den Schiffslichtern zu ihm zurückgelangte.
    Tagsüber war das Vergnügen anderer Art, besonders an Sonntagen. Im Viertel der Vizekönige, wo die Reichen der Altstadt lebten, war der Strand der Frauen von dem der Männer durch eine Mauer getrennt. Der eine Strand lag zur Rechten, der andere zur Linken des Leuchtturms. Der Wärter hatte deshalb ein Fernrohr angebracht, durch das man für einen Centavo den Frauenstrand beobachten konnte. Ohne sich beobachtet zu fühlen, zeigten sich die jungen Damen der Gesellschaft so vorteilhaft wie möglich in ihren Badeanzügen mit den großen Volants, Strandschuhen und Hüten, die fast soviel wie die Straßenkleidung von ihren Körpern bedeckten und zudem nicht so attraktiv waren. Am Ufer saßen die Mütter in Korbschaukelstühlen mit eben den Federhüten und Sonnenschirmen, die sie zum Hochamt getragen hatten, und wachten über sie, aus Furcht, daß die Männer von den Nachbarstränden sie unter Wasser verfuhren könnten. Tatsächlich war durch das Fernrohr nicht mehr und nichts Erregenderes zu sehen als das, was man auch auf der Straße sehen konnte, dennoch kamen jeden Sonntag viele Kunden dorthin und machten sich das Teleskop streitig, nur um des verbotenen Genusses willen, von den faden Früchten aus Nachbars Garten zu naschen.
    Florentino Ariza war einer von ihnen, eher aus Langeweile denn aus Lust, doch nicht wegen dieser zusätzlichen Attraktion wurde er mit dem Leuchtturmwärter so gut Freund. Der wirkliche Grund war, daß, nachdem Fermina Daza ihn abgewiesen und er sich beim Versuch, sie zu ersetzen, mit dem Fieber der flüchtigen Amouren infiziert hatte, er an keinem anderen Ort glücklichere Stunden verlebte oder besseren Trost für sein Herzeleid fand. Der Leuchtturm war der Ort, den er am meisten liebte, so sehr, daß er jahrelang versuchte, seine Mutter und später auch den Onkel Leon XII. zu überreden, ihm beim Kauf zu helfen. Die Leuchttürme der Karibik waren damals nämlich in Privatbesitz, und ihre Eigentümer ließen sich nach Größe der Schiffe das Passierrecht bezahlen. Florentino Ariza hielt dies für die einzige ehrenhafte Weise, Poesie und Geschäft zu verbinden, doch weder Mutter noch Onkel waren der gleichen Meinung, und als dann seine eigenen Mittel ausreichten, waren die Leuchttürme bereits in Staatseigentum übergegangen.
    Keine dieser Illusionen war jedoch vergeblich. Das Märchen von der Galeone und dann die Entdeckung des Leuchtturms halfen ihm über Fermina Dazas Abwesenheit hinweg, und als er am wenigsten damit rechnete, erreichte ihn die Nachricht ihrer bevorstehenden Rückkehr. Tatsächlich hatte Lorenzo Daza nach einem ausgedehnten Aufenthalt in Riohacha beschlossen, heimzukehren. Der Dezember war wegen der Passatwinde nicht die günstigste Zeit des Meeres, und der alte Schoner, der als einziger die Überfahrt riskierte, konnte unter Umständen, von ungünstigen Winden abgetrieben, am Morgen wieder im Auslaufhafen auftauchen. So geschah es. Fermina Daza hatte eine Nacht der Agonie hinter sich gebracht, sie hatte, fest an die Koje gegurtet, Galle gespuckt, in einer Kabine, die einem Kaschemmenabort ähnelte, nicht nur wegen der beklemmenden Enge, sondern auch wegen des Gestanks und der Hitze. Das Schiff schlingerte so stark, daß sie mehrmals meinte, die Riemen am Bett müßten reißen, von Deck erreichten sie die Fetzen der Schreckensschreie, die an Schiffbruch denken ließen, und das tigerhafte Schnarchen des Vaters in der Nachbarkoje war für sie nur eine weitere Zutat des Grauens. Zum ersten Mal seit fast drei Jahren verbrachte sie eine schlaflose Nacht, ohne auch nur einen Augenblick an Florentino Ariza zu denken. Er indes fand in der Hängematte hinter dem Geschäft keinen Schlaf, weil er jede einzelne der ewigen Minuten zählte, die bis zu ihrer Rückkehr fehlten. Bei Tagesanbruch legte sich der Wind plötzlich, die See wurde ruhiger, und Fermina Daza, vom Gerassel der Ankerketten geweckt, stellte fest, daß sie trotz der Qualen der Seekrankheit eingenickt sein mußte. Daraufhin löste sie die Riemen und beugte sich zum

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