Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Daza zeigte ihr den Weg, den sie täglich mit der Tante Escolástica zurückgelegt hatte, die Parkbank, auf der Florentino Ariza zu lesen vorgab, um sie abzupassen, die Gassen, durch die er ihr gefolgt war, die Verstecke für die Briefe, den finsteren Palast, in dem das Gefängnis der Inquisition untergebracht gewesen und der später restauriert und zur Schule der Presentación de la Santísima Vírgen umgebaut worden war, die sie von ganzer Seele haßte. Sie stiegen auf den Hügel des Armenfriedhofs, wo Florentino Ariza bei günstigem Wind Geige gespielt hatte, damit sie es in ihrem Bett hören konnte. Von dort war die ganze Altstadt zu überblicken, sie sahen die kaputten Ziegeldächer und die verfallenen Mauern, die Trümmer der Festungen zwischen dem Gebüsch, den Schwärm von Inseln in der Bucht, die Elendsbaracken am Rand der Sümpfe und das unermeßliche karibische Meer.
In der Weihnachtsnacht gingen sie zur Christmette in die . Kathedrale. Fermina Daza setzte sich auf den Platz, wo Florentino Arizas innige Musik sie am besten erreicht hatte, und zeigte ihrer Kusine die genaue Stelle, an der sie in einer Nacht wie dieser zum ersten Mal die erschreckten Augen von nahem gesehen hatte. Sie wagten sich allein bis zum Portal de los Escribanos, kauften Süßwaren, hielten sich in dem Geschäft mit den ausgefallenen Papierwaren auf, und dann zeigte Fermina Daza ihrer Kusine den Ort, an dem sie entdeckt hatte, daß ihre Liebe nur eine Täuschung gewesen war. Sie selbst merkte nicht, daß jeder ihrer Schritte vom Haus bis zur Schule, jede Stelle in der Stadt, jeder Augenblick ihrer jüngsten Vergangenheit nur durch Florentino Ariza zu existieren schien. Hildebranda machte sie darauf aufmerksam, doch Fermina mochte es nicht zugeben, da sie sich niemals die Tatsache hätte eingestehen können, daß, im Guten wie im Schlechten, Florentino Ariza das einzige war, was ihr im Leben widerfahren war.
Zu jener Zeit kam ein belgischer Fotograf in die Stadt, der sein Atelier über dem Portal de los Escribanos einrichtete. Jeder, der es bezahlen konnte, nutzte die Gelegenheit, sich von ihm ablichten zu lassen. Fermina und Hildebranda waren unter den ersten. Sie leerten den Kleiderschrank von Fermina Sánchez, teilten die prächtigsten Kleider, die Sonnenschirme, die Ballschuhe und Hüte untereinander auf und kleideten sich damit wie Damen der Jahrhundertmitte. Gala Placidia half ihnen, die Korsetts zu schnüren, zeigte ihnen, wie man sich in dem Drahtgestänge der Reifröcke bewegte, wie man die Handschuhe überstreifte und die hochhackigen Stiefelchen zuknöpfte. Hildebranda wählte einen breitkrempigen Hut mit Straußenfedern, die ihr über den Rücken hingen. Fermina Daza setzte sich einen etwas neueren auf, der mit bemalten Gipsfrüchten und Filzblumen geschmückt war. Am Ende mußten sie über sich selbst lachen, als sie im Spiegel sahen, wie sehr sie den Daguerrotypien der Großmutter ähnelten, und sie brachen glücklich kichernd auf, um sich die Fotografie ihres Lebens machen zu lassen. Gala Placidia sah ihnen vom Balkon aus nach, wie sie unter den geöffneten Sonnenschirmen, so gut es ging, auf den hohen Hacken über den Platz stöckelten und die Reifröcke mit dem ganzen Körper wie Kinderlaufstühlchen voranschoben. Sie gab ihnen ihren Segen, daß Gott ihnen bei ihrem Bildnis beistünde. Vor dem Atelier des Belgiers war Tumult, weil gerade Beny Centeno fotografiert wurde, der in jenen Tagen die Boxmeisterschaft in Panama gewonnen hatte. Er trug kurze Sporthosen, hatte die Boxhandschuhe an und den Kranz auf dem Kopf. Es war nicht leicht, ihn zu fotografieren, weil er eine Minute lang bewegungslos in Angriffstellung verharren mußte und dabei so wenig wie möglich atmen durfte. Sobald er aber die Fäuste hob, setzten die Ovationen seiner Anhänger ein, und dann konnte er der Versuchung nicht widerstehen, sie mit Proben seiner Kunst zu erfreuen. Als die Kusinen an der Reihe waren, hatte sich der Himmel zugezogen, es konnte jeden Augenblick zu regnen beginnen, sie ließen sich aber dennoch die Gesichter mit Stärkemehl pudern und lehnten sich mit so großer Natürlichkeit an eine Alabastersäule, daß es ihnen gelang, länger als vorstellbar regungslos zu verharren. Es war ein Bild für die Ewigkeit. Als Hildebranda fast hundertjährig auf ihrer Hacienda in Flores de Maria starb, fand man in dem abgeschlossenen Schlafzimmerschrank zwischen parfümierten Laken versteckt ihren Abzug zusammen mit dem Fossil eines
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