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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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nur das Geringste aus dieser Stadt des Verderbens berichten könne. Der Onkel stellte ihn nicht ein, aus Rücksicht auf die Witwe seines Bruders, die nicht einmal die Existenz des Bankerts ertragen konnte, aber er verschaffte Florentino die Stellung eines Telegraphisten in Villa de Leyva, einem verträumten Städtchen, mehr als zwanzig Tagereisen entfernt und fast dreitausend Meter höher als die Calle de las Ventanas gelegen. Diese therapeutische Reise gelangte nie ganz in Florentino Arizas Bewußtsein. Er sollte sich an sie nur, wie an alles aus jener Zeit, durch die verzerrenden Gläser seines Unglücks erinnern. Als er das Telegramm mit der Ernennung empfing, dachte er nicht daran, diese auch nur in Erwägung zu ziehen, doch Lothario Thugut überzeugte ihn mit deutschen Argumenten davon, daß ihn eine glänzende Zukunft im Staatsdienst erwarte. Er sagte zu ihm: »Die Telegraphie ist der Beruf der Zukunft.« Er schenkte ihm ein Paar mit Kaninchenfell gefutterte Handschuhe, eine Trappermütze und einen Mantel mit Plüschkragen, der sich im eisigen bayrischen Januar bewährt hatte. Onkel Leon XII. schenkte ihm zwei Wollanzüge und ein paar wasserdichte Stiefel, die dem älteren Bruder gehört hatten, und überreichte ihm eine Passage für eine Kabine auf dem nächsten Schiff. Tránsite Ariza arbeitete die Kleidung nach den Maßen ihres Sohnes um, der nicht so korpulent wie sein Vater und sehr viel kleiner als der Deutsche war, und kaufte ihm dann noch Wollstrümpfe und lange Unterhosen, damit er für die Prüfungen der kalten Region gerüstet sei. Florentino Ariza, verhärtet von so viel Leid, nahm an den Reisevorbereitungen nicht mehr Anteil als ein Toter an der Ausrichtung seiner Trauerfeier. Er sagte niemandem, daß er ging, verabschiedete sich von niemandem, mit der eisernen Verschlossenheit, die ihm auch nur der Mutter das Geheimnis seiner aufgestauten Leidenschaft hatte offenbaren lassen. Am Vorabend der Abreise beging er jedoch bewußt eine letzte Herzenstorheit, die ihm ohne weiteres das Leben hätte kosten können. Um Mitternacht zog er sich seinen Sonntagsanzug an und spielte allein unter Fermina Dazas Balkon den Liebeswalzer, den er für sie komponiert hatte, den nur sie beide kannten und der drei Jahre lang das Emblem ihrer verhinderten Innigkeit gewesen war. Er spielte ihn, den Text murmelnd, mit einer in Tränen gebadeten Geige und mit so tiefer Inspiration, daß bei den ersten Takten die Hunde der Nachbarschaft zu jaulen begannen und bald die der ganzen Stadt, doch im Bann der Musik verstummten sie nach und nach, so daß der Walzer in einer übernatürlichen Stille endete. Auf dem Balkon öffnete sich kein Fenster, niemand schaute auf die Straße hinunter, nicht einmal der Nachtwächter, der sonst fast immer versuchte, etwas von den Brosamen der Ständchen zu erhaschen, kam mit seiner Laterne. Es war ein Akt der Beschwörung, der Florentino Ariza Linderung brachte. Als er nämlich die Geige in ihrem Kasten verwahrte und sich ohne einen Blick zurück auf der ausgestorbenen Straße entfernte, war es ihm nicht mehr, als ob er am nächsten Morgen wegführe, sondern als sei er schon vor vielen Jahren mit dem unwandelbaren Vorsatz gegangen, niemals zurückzukehren.
    Der Dampfer, einer von dreien gleichen Typs der Karibischen Flußschiffahrtskompanie, war zu Ehren des Gründers umgetauft worden: Pio V. Loayza. Er war ein schwimmendes Haus aus Holz, das sich zweistöckig auf einem flachen, breiten Eisenrumpf erhob, und hatte, um bei dem unterschiedlichen Wasserstand des Flusses fahren zu können, nur den maximalen Tiefgang von fünf Fuß. Die ältesten Schiffe waren um die Jahrhundertmitte in Cincinnatti nach dem legendären Modell der Mississippi- und Ohio-Dampfer gebaut worden. Sie hatten auf beiden Seiten ein Schaufelrad, das von einem holzgeheizten Dampfkessel betrieben wurde. Wie bei diesen Schiffen befanden sich auch auf denen der Karibischen Flußschiffahrtskompanie die Dampfmaschinen und die Küchen fast auf Wasserhöhe auf dem Unterdeck, ebenso die großen Maschendrahtkäfige, in denen die Besatzung ihre Hängematten kreuz und quer in unterschiedlicher Höhe aufhängte. Auf dem Oberdeck waren die Kommandobrücke die Kabinen des Kapitäns und der Offiziere, ein Aufenthaltsraum sowie die Kapitänsmesse, in die prominente Passagiere mindestens einmal zum Diner und zum Kartenspiel eingeladen wurden. Auf dem Zwischendeck waren zu beiden Seiten eines breiten Ganges, der als allgemeiner Eßsaal diente,

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