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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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da, wäre nicht die Wärme ihres Körpers in der Finsternis gewesen.
    Nach einer Weile nahm er wieder ihre Hand, die jetzt warm war und locker, aber noch feucht von einem zarten Tau. Wieder lagen sie eine Weile schweigend und reglos da, er lauerte auf eine Gelegenheit für den nächsten Schritt, und sie wartete darauf, ohne zu wissen, aus welcher Richtung er kommen würde, während ihrer beider immer heftiger werdender Atem die Dunkelheit weitete. Er ließ die Hand plötzlich los und wagte den Schritt ins Unbekannte: Er feuchtete sich die Kuppe des Herzensfingers mit der Zunge an und berührte kaum die nichtsahnende Brustwarze, und sie fühlte einen tödlichen Stromstoß, als hätte er einen freiliegenden Nerv berührt. Sie war dankbar für die Dunkelheit, in der er die flammende Röte nicht sehen konnte, die ihr bis in den Kopf schoß. »Nur ruhig«, sagte er sehr ruhig. »Vergiß nicht, daß ich sie schon kenne.« Er spürte, wie sie lächelte, und ihre Stimme war sanft und neu in der Finsternis. »Ich erinnere mich nur zu gut daran«, sagte sie, »und meine Wut ist noch nicht verraucht.«
    Da wußte er, daß sie das Kap der Guten Hoffnung umschifft hatten, und er nahm wieder ihre Hand, groß und weich, und bedeckte sie mit Waisenkindküßchen, erst die rauhe Mittelhand, die langen hellseherischen Finger, die durchsichtigen Nägel und dann die Schicksalshieroglyphen in ihrer verschwitzten Handfläche. Sie wußte nicht, wie ihre Hand auf seine Brust gelangt war und dort etwas fand, was sie nicht identifizieren konnte. »Das ist ein Skapulier«, sagte er. Sie strich ihm über das Brusthaar und griff dann mit allen fünf Fingern ins Gestrüpp, um es mit der Wurzel auszureißen. »Fester«, sagte er. Sie versuchte es, gerade so fest, daß sie ihm nicht wehtat, und dann war es ihre Hand, die seine im Dunkeln verlorene suchte. Doch er ließ sich nicht die Finger verschränken, sondern umfaßte ihr Handgelenk und führte ihre Hand mit einer unsichtbaren, doch genau gelenkten Kraft an seinem Körper entlang, bis sie den glühenden Hauch eines nackten Tieres spürte, das, ohne körperähnliche Formen zu haben, doch begehrlich aufgerichtet war. Anders als er es sich vorgestellt hatte, anders auch als sie es sich vorgestellt hätte, zog sie die Hand nicht zurück, ließ sie auch nicht bewegungslos dort liegen, wo er sie hingelegt hatte, sondern empfahl sich mit Leib und Seele der Jungfrau Maria, biß, da sie fürchtete, über ihre eigene Tollheit zu lachen, die Zähne zusammen und begann, den sich aufbäumenden Feind tastend zu erkunden, erforschte seine Größe, die Kraft seines Schaftes, die Spannweite seiner Flügel, war erschreckt über seine Bestimmtheit, zugleich jedoch von seiner Einsamkeit gerührt. Sie eignete sich ihn mit einer minutiösen Neugier an, die ein weniger erfahrener Mann mit Zärtlichkeit verwechselt hätte.
    Er beschwor seine letzten Kräfte, um dem Schwindel der tödlichen Prüfung zu widerstehen, bis sie das Ding mit kindlicher Unbekümmertheit fallen ließ, einfach so, als werfe sie es in den Abfall.
    »Ich habe nie begriffen, wie dieser Apparat gebaut ist«, sagte sie.
    Woraufhin er ihr das auf seine lehrmeisterliche Weise erklärte, wobei er ihre Hand an die Stellen führte, die er gerade erwähnte, und sie ließ sich gehorsam wie eine Musterschülerin führen. In einem günstigen Augenblick bemerkte er, daß das alles bei Licht leichter sei. Er wollte es schon anzünden, doch sie fiel ihm in den Arm und sagte: »Ich sehe besser mit den Händen.« In Wirklichkeit hätte sie gerne Licht gehabt, aber sie wollte es ohne Aufforderung von irgend jemand selbst anzünden, und so geschah es auch. Da sah er sie in Fötalhaltung und mit dem Laken bedeckt in der plötzlichen Helligkeit liegen. Doch dann sah er, wie sie sich wieder ohne Ziererei das Tier ihrer Neugier griff. Sie drehte und wendete es mit einem Interesse, das schon aufhörte, rein wissenschaftlich zu sein, und sagte zusammenfassend: »Es muß schon sehr häßlich sein, um häßlicher als das der Frauen zu sein.« Er gab ihr recht und wies auf schwerwiegendere Unzulänglichkeiten als die Häßlichkeit hin. Er sagte: »Es ist wie mit dem ältesten Sohn, man arbeitet sein Lebtag für ihn, opfert alles für ihn, und in der Stunde der Wahrheit tut er dann, was er will.« Sie untersuchte es weiter, fragte, wozu dies und wozu jenes gut sei, und als sie sich ausreichend informiert glaubte, wog sie es auf beiden Händen, um sich zu beweisen, daß es

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