Die Liebe in den Zeiten der Cholera
dem an der Cholera gestorbenen Großvater getauft.
Es war unmöglich auszumachen, ob es Europa oder die Liebe gewesen war, die sie verändert hatte, da sie das eine wie das andere zur gleichen Zeit erlebt hatten. Beide Ehepartner waren von Grund auf anders geworden, nicht nur zueinander, sondern zu aller Welt, wie Florentino Ariza bemerkte, als er sie zwei Wochen nach ihrer Rückkehr aus der Messe kommen sah, an jenem Sonntag seines Unglücks. Sie waren mit einer neuen Vorstellung vom Leben zurückgekehrt, voll beladen mit Neuem aus der Alten Welt und bereit, den Ton anzugeben. Er mit Neuheiten aus Literatur, Musik und vor allem aus seiner Wissenschaft. Er hatte Le Figaro abonniert, um nicht den Anschluß an die Wirklichkeit zu verlieren, und die Revue des Deux Mondes, um in der Poesie auf dem Laufenden zu bleiben. Er hatte auch mit seinem Pariser Buchhändler eine Vereinbarung getroffen, daß dieser ihn mit den Neuerscheinungen der meistgelesenen Schriftsteller, darunter Anatole France und Pierre Loti, sowie mit den neuen Büchern seiner Lieblingsautoren, darunter Remy de Gourmont und Paul Bourget, versorgte, keinesfalls aber mit denen von Emile Zola, der ihm, trotz seines mutigen Auftritts im Dreyfus-Prozeß, unerträglich erschien. Derselbe Buchhändler verpflichtete sich, ihm per Post die reizvollsten Partituren aus dem Ricordi-Katalog zu schicken, vor allem Kammermusik, damit er sich dem von seinem Vater wohlverdienten Ruf des bedeutendsten Musikförderers der Stadt würdig erweisen konnte.
Fermina Daza, die sich stets gegen das Diktat der Mode aufgelehnt hatte, brachte sechs Schrankkoffer mit Kleidern für alle Jahreszeiten mit. Die großen Modehäuser hatten sie nicht überzeugt. Sie war mitten im Winter in den Tuilerien gewesen, als die Kollektion von Worth, dem unumgänglichen Tyrannen der Haute Couture, vorgestellt worden war, und hatte nichts als eine Bronchitis davongetragen, die sie sechs Tage ans Bett fesselte. Laferriere erschien ihr weniger prätentiös und gewalttätig, doch ihre weise Entscheidung bestand darin, all das an sich zu raffen, was ihr in Ramschläden gefiel, obwohl ihr Mann entsetzt beteuerte, es handele sich um Kleider von Toten. Sie brachte auch Mengen italienischer Schuhe ohne Markennamen mit, die sie den berühmten und extravaganten Modellen von Ferry vorzog, sowie einen Sonnenschirm von Dupuy, rot wie das Höllenfeuer, der unseren schreckhaften Gesellschaftschronisten viel zu schreiben gab. Sie kaufte nur einen einzigen Hut von Madame Reboux, füllte aber einen Koffer mit Büscheln künstlicher Kirschen, Sträußchen von allen nur auftreibbaren Filzblumen, Bündeln von Straußenfedern, Federkronen von Pfauen, ganzen Fasanen, Kolibris und einer reichen Auswahl an exotischen Vögeln, die im Anflug, im Schrei oder in tiefster Agonie präpariert worden waren: alles, was in den vergangenen zwanzig Jahren dazu gedient hatte, die immergleichen Hüte anders aussehen zu lassen. Sie brachte eine Sammlung von Fächern aus verschiedenen Ländern der Welt mit, jeder war anders und für eine andere Gelegenheit passend. Sie brachte eine betörende Duftessenz mit, die sie unter vielen in der Parfümerie des Bazar de la Charite ausgesucht hatte, bevor dessen Asche von den Frühlingswinden verweht wurde, benutzte sie jedoch nur einmal, da sie sich selbst mit dem neuen Parfüm fremd war. Sie brachte auch ein Kosmetiketui mit, dernier cri auf dem Markt der Verführung, und sie war die erste Frau, die es auf Feste mitnahm, zu einer Zeit, als schon die Tatsache, sich in der Öffentlichkeit zu schminken, als anstößig galt.
Außerdem brachten sie drei unauslöschliche Erinnerungen mit: die beispiellose Uraufführung von Hoffmanns Erzählungen in Paris, den fürchterlichen Brand fast aller Gondeln vor dem Markusplatz, den sie mit schmerzerfülltem Herzen vom Fenster ihres Hotels in Venedig aus miterlebt hatten, und eine flüchtige Vision von Oscar Wilde im ersten Januarschnee. Aber zwischen diesen und so vielen anderen Erinnerungen bewahrte Doktor Juvenal Urbino eine, bei der er immer bedauerte, sie nicht mit seiner Frau teilen zu können, denn sie stammte noch aus seiner Junggesellenzeit als Student in Paris. Es war die Erinnerung an Victor Hugo, der bei uns eine rührende Berühmtheit jenseits seiner Werke genoß, weil jemand erzählt hatte, er habe, was tatsächlich aber niemand gehört hatte, gesagt, unsere Verfassung sei nicht für ein Land von Menschen, sondern für eines von Engeln geschaffen.
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