Die Liebe in den Zeiten der Cholera
besorgten Gattinnen an Land geschleift werden, da sie sich schon bei den Stewards nach freien Kabinen erkundigt hatten, um die Feier bis Paris fortzusetzen. Die letzten, die von Bord gingen, sahen Lorenzo Daza, den Frack in Fetzen, mitten auf der Straße vor der Hafenkneipe sitzen. Er stieß Klageschreie aus wie die Araber, wenn sie ihre Toten beweinen, und saß in einer fauligen Wasserlache, die auch eine Tränenpfütze hätte sein können.
Weder in der ersten stürmischen Nacht auf See, noch in den folgenden Nächten gemächlicher Fahrt, noch sonst jemals in ihrem sehr langen Eheleben fanden die barbarischen Handlungen statt, die Fermina Daza befürchtet hatte. Die erste Nacht wurde für sie, trotz der Größe des Schiffes und der Luxusausstattung der Kabine, zu einer schreckensvollen Wiederholung jener Nacht, die sie auf dem Schoner von Riohacha verbracht hatte. Ihr Mann war ihr ein aufopfernder Arzt, der nicht einen Augenblick schlief, um sie trösten zu können, aber das war auch alles, was ein so vorzüglicher Arzt gegen die Seekrankheit tun konnte. Der Sturm legte sich jedoch am dritten Tag, nachdem sie den Hafen von La Guaira hinter sich gelassen hatten, und da waren sie bereits so lange zusammen gewesen und hatten so viel miteinander geredet, daß sie sich wie alte Freunde fühlten. In der vierten Nacht, als beide ihre alltäglichen Gepflogenheiten wieder aufnahmen, wunderte sich Doktor Juvenal Urbino darüber, daß seine junge Frau nicht vor dem Schlafengehen betete. Sie war ehrlich: Die Heuchelei der Nonnen habe in ihr einen Widerwillen gegen die Riten erzeugt, doch ihr Glaube sei davon unberührt, und sie habe gelernt, ihn im Stillen zu bewahren. Sie sagte: »Ich ziehe es vor, mich mit Gott direkt zu verständigen.« Er erkannte ihre Gründe an, und seitdem praktizierte jeder die gleiche Religion auf seine Art. Ihre Verlobungszeit war kurz, doch für die Zeit wenig förmlich gewesen, da Doktor Urbino sie jeden Abend bei ihr zu Hause allein hatte sehen dürfen. Allerdings hätte sie nie erlaubt, daß er ihr vor dem bischöflichen Segen auch nur die Fingerspitzen berührte, aber er versuchte es gar nicht. Es war in der ersten ruhigen Nacht auf See, sie lagen auf dem Bett, waren jedoch noch angezogen, als er mit den Zärtlichkeiten begann, und zwar mit so viel Feingefühl, daß der Vorschlag, man solle sich doch die Nachthemden anziehen, ihr nur natürlich erschien. Sie ging in das Bad, um sich auszukleiden, löschte jedoch erst noch die Lampen in der Kabine und stopfte, bevor sie wieder herauskam, Lappen in die Türritzen, um in vollkommener Dunkelheit zurück ins Bett zu gelangen. Dabei sagte sie gutgelaunt:
»Was willst du, Doktor. Es ist schließlich das erste Mal, daß ich mit einem Unbekannten schlafe.« Doktor Juvenal Urbino spürte, wie sie, ein kleines verängstigtes Tier, neben ihn schlüpfte und versuchte, sich so weit weg von ihm wie nur möglich hinzulegen, und das in einer Koje, in der kaum zwei Platz fanden, ohne sich zu berühren. Er nahm ihre Hand, die kalt war und vor Angst verkrampft, verschränkte seine Finger in ihre und begann ihr fast flüsternd von seinen Erinnerungen an andere Seereisen zu erzählen. Sie lag angespannt da, denn als sie vom Bad ins Bett zurückgekommen war, hatte sie gemerkt, daß er sich inzwischen ganz ausgezogen hatte, und das ließ ihre Angst vor dem nächsten Schritt wieder aufleben. Doch der nächste Schritt ließ mehrere Stunden auf sich warten, da Doktor Urbino sehr leise weitererzählte, während er Millimeter um Millimeter das Vertrauen ihres Körpers eroberte. Er erzählte ihr von Paris, von der Liebe in Paris, von den Liebespärchen in Paris, die sich auf der Straße küßten, im Omnibus und auf den blühenden Terrassen der Cafes, die dem feurigen Hauch und den schmachtenden Ziehharmonikaklängen des Sommers geöffnet waren, und wie die Pärchen sich im Stehen an den Seinequais liebten, ohne von jemandem gestört zu werden. Während er aus dem Dunkel zu ihr sprach, strich er mit den Fingerkuppen über die Biegung ihres Halses, streichelte ihr den Seidenflaum der Arme, den scheuen Bauch, und als er spürte, daß sich die Anspannung gelöst hatte, unternahm er einen ersten Versuch, ihr das Nachthemd hochzuschieben, doch sie hinderte ihn daran, mit einer für ihren Charakter typischen Anwandlung. »Das kann ich allein«, sagte sie. Sie zog es tatsächlich aus und lag dann so regungslos da, daß Doktor Urbino hätte glauben können, sie sei schon nicht mehr
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