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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Seither erfreute er sich einer besonderen Verehrung, und die meisten unserer zahlreichen Landsleute, die nach Frankreich reisten, verzehrten sich danach, ihn zu sehen. Ein halbes Dutzend Studenten, darunter Juvenal Urbino, hatten eine Zeitlang Wache vor seiner Residenz an der Avenue Eylau bezogen sowie in den Cafes, wo er angeblich bestimmt auftauchen sollte, aber nie auftauchte, und am Ende hatten sie ihn im Namen der Engel der Verfassung von Rionegro schriftlich um eine Privataudienz gebeten. Sie erhielten nie eine Antwort. An irgendeinem Tag, als Juvenal Urbino zufällig am Jardin du Luxembourg entlangging, sah er ihn am Arm einer jungen Frau, die ihn führte, den Senat verlassen. Hugo war ihm sehr alt vorgekommen, er konnte sich nur mühsam vorwärtsbewegen, Bart und Haare waren weniger leuchtend als auf den Bildern, und er steckte in einem Mantel, der einem korpulenteren Mann zu gehören schien. Juvenal Urbino wollte sich dieses Erinnerungsbild nicht durch einen aufdringlichen Gruß zerstören: Er begnügte sich mit der beinahe unwirklichen Vision, die ihn sein ganzes Leben lang begleiten sollte. Als er verheiratet und unter Voraussetzungen nach Paris zurückkehrte, die ihm erlaubt hätten, Victor Hugo einen förmlichen Besuch abzustatten, war dieser bereits gestorben.
    Zum Trost bewahrten Juvenal und Fermina die gemeinsame Erinnerung an einen verschneiten Nachmittag, als sie auf eine Menschengruppe aufmerksam wurden, die vor einer kleinen Buchhandlung am Boulevard des Capucines dem schlechten Wetter trotzte. Oscar Wilde war in der Buchhandlung. Als er endlich herauskam, wahrhaft elegant, aber sich dessen vielleicht allzu bewußt, umringte ihn die Gruppe, um sich von ihm seine Bücher signieren zu lassen. Doktor Urbino war nur stehengeblieben, um ihn zu sehen, doch seine impulsive Frau wollte den Boulevard überqueren, damit der Dichter seine Unterschrift auf das einzige setze, was ihr mangels eines Buches passend erschien: ihr wunderschöner Gazellenlederhandschuh, lang, glatt, zart und von der gleichen Farbe wie ihre Haut einer Jungvermählten. Sie war sich sicher, daß ein so feinsinniger Mann solch eine Geste zu schätzen wisse. Doch ihr Mann widersetzte sich energisch, und als sie versuchte, es trotz seiner Argumente zu tun, glaubte er, die Schande nicht überleben zu können. »Wenn du diese Straße überquerst«, sagte er, »dann wirst du mich hier später tot auffinden.«
    Es war einfach ihr Naturell. Seit der Hochzeit war noch kein Jahr vergangen, doch sie bewegte sich mit der gleichen Unbefangenheit, mit der sie als Kind durch den kleinen Ort San Juan de la Ciénaga gelaufen war, durch die Welt, als sei ihr das in die Wiege gelegt worden. Ihre Leichtigkeit im Umgang mit Fremden verblüffte ihren Mann, wie ihre geheimnisvolle Gabe, sich auf spanisch, wo auch immer und mit wem auch immer, zu verständigen. »Sprachen muß man beherrschen, wenn man etwas verkaufen will«, sagte sie schalkhaft. »Aber wenn man etwas kaufen will, versteht einen jedermann.« Es war schwierig, sich jemanden vorzustellen, der sich schneller und mit so viel Fröhlichkeit ins Pariser Alltagsleben eingefügt hätte, das sie in der Erinnerung, trotz des ewigen Regens, lieben lernte. Als sie jedoch erschöpft von so vielen Erfahrungen in kurzer Zeit heimkehrte, müde vom Reisen und schläfrig von der Schwangerschaft, fragte man sie am Hafen als erstes, wie denn die Wunder Europas auf sie gewirkt hätten, worauf sie in karibischer Unbekümmertheit sechzehn Monate der Seligkeit mit vier Worten abtat: »Viel Lärm um nichts.«
     

 
     
     
    A n dem Tag, als Florentino Ariza im Vorhof der Kathedrale Fermina Daza sah, im sechsten Monat schwanger und ihrer neuen Rolle einer Dame von Welt vollauf gewachsen, faßte er den erbitterten Entschluß, sich einen Namen zu machen und Vermögen zu erringen, um ihrer würdig zu sein. Über das Hindernis, daß sie verheiratet war, zerbrach er sich nicht weiter den Kopf, denn er hatte, als hinge das von ihm ab, gleichzeitig entschieden, daß Doktor Juvenal Urbino sterben müsse. Er wußte weder wann noch wie, ging aber davon aus wie von einem zwangsläufigen Ereignis, auf das er in aller Ruhe und Gelassenheit warten wollte, und sei es bis ans Ende der Zeiten.
    Er fing ganz von vorne an. Ohne Anmeldung erschien er im Büro des Onkels Leon XII., Generaldirektor und Präsident des Vorstands der Karibischen Flußschiffahrtskompanie, und eröffnete ihm, er sei bereit, sich ganz seinen Vorstellungen

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