Die Liebe in Grenzen
mit mehreren Tischen ausgestattet war, um die je vier alte Holzstühle in unterschiedlichen Farben standen. Jeden Tisch zierte ein rot-weià kariertes Stoffquadrat, auf dem Wiesenblumen in kleinen Tonvasen arrangiert waren, was dem Ganzen den Anschein einer Gastwirtschaft mit familiärer Atmosphäre gab.
An den Wänden hingen schlicht gerahmte Kunstdrucke, wie man sie unter Dekoration in der IKEA -Küchenabteilung finden kann: van Goghs » Die Kartoffelesser « , Renoirs » Das Frühstück der Ruderer « und zwei andere Darstellungen von speisenden Menschen, die ich auch schon einmal irgendwo gesehen hatte.
» Mittagessen wird gemeinsam eingenommen, zum Frühstück und zum Abendessen gibt es ein Büfett « , erklärte Carmen und erzählte von der Problematik gemeinsamer Essenszeiten und einem Selbstversorgertag pro Woche als therapeutische MaÃnahme, als wäre ich schon Teil der Belegschaft.
» Kannst du kochen? « , fragte sie und riss mich aus der Betrachtung einer Picknick-Szene mit Menschen in orientalisch anmutenden Gewändern.
» Nicht besonders « , gab ich zu.
» Na, macht nichts. Jedenfalls versuchen wir immer wieder in den unterschiedlichen Lebensbereichen möglichst viel in die Eigenverantwortung der Einzelnen zu legen. Das klappt mal besser, mal schlechter und ab und zu auch gar nicht, aber es ist ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Konzepts, wenn die Leute jemals wieder ohne Fremdhilfe zurechtkommen sollen. «
» Wer mir in puncto Kochen ausgeliefert ist, wird ganz schnell eigenverantwortlich « , sagte ich.
» Na, das wäre ja schon mal ein Pluspunkt « , bemerkte Carmen trocken.
Ohne sich weiter mit dem heilpädagogischen Wert meiner nicht vorhandenen Kochkünste aufzuhalten, setzte sie ihre Erläuterungen zum Alltag in der Goldbachmühle fort. » Wie ich schon sagte, in der Hauptsache haben wir es hier mit Menschen zu tun, die wieder lernen müssen, lebensfähige Individuen zu werden. Unsere Aufgabe als begleitende Betreuer ist es, den Jungs und Mädels auf die Sprünge zu helfen, sie möglichst bald unabhängig von den alltagsunterstützenden MaÃnahmen zu machen, die wir ihnen hier bieten. Also, so wenig Hilfe wie nötig, so viel Eigenständigkeit wie möglich. Das ist natürlich eine Gratwanderung und kann auch nach hinten losgehen, aber so abgedroschen das klingen mag: Wir alle wachsen mit unseren Aufgaben. «
Fasziniert hatte ich Carmen zugehört. Ihre Stimme, die resolut, aber freundlich war, ihre engagierte und gleichzeitig distanziert-ironische Art gefielen mir. Sie klang, als wüsste sie immer genau, wovon sie sprach und was sie wollte. Immer besser konnte ich mir vorstellen, unter ihrer Leitung zu arbeiten, und beinahe hätte ich ihr das auch so gesagt, wenn sie nicht genau in dem Moment, als ich Luft holte, geflucht hätte.
» Verdammt noch mal! «
Ich sah fragend zu ihr herüber.
Carmen hielt angewidert ein Stück Textil zwischen den Fingerspitzen, das wie eine sehr unwürdig gealterte männliche Tennissocke aussah: » Hast du eine Idee, auf welche Weise man den Typen ein für alle Mal vermitteln könnte, dass Gemeinschaftsräume der Verantwortlichkeit aller unterliegen? «
Wie um mich von einem passenden Antwortsatz zu entbinden, drückte sie mir die Socke in die Hand und sagte: » Schmeià mal weg, bitte. Ist mir egal, wem die gehört. «
Carmen überreichte mir das ekelige Stück und hastete dann unvermittelt zu einem der Fenster, das sie öffnete, um bedenklich weit herausgelehnt zu rufen: » Martin! Komm mal eben rein! «
In der Ferne war undeutlich eine Stimme zu hören.
» Dann aber gleich danach! «
Schon jetzt kam es mir ungewöhnlich vor, dass es jemanden gab, der eine ihrer Anweisungen nicht umgehend befolgte.
Ich trat neben sie, sah an ihr vorbei auf eine weitläufige Wiese neben dem Haus und erkannte in einiger Entfernung den Mann, der vorhin als Erster in den Raum geplatzt war. Jetzt entfernte er sich in Richtung eines Schuppens, der sich an die Treibhäuser anschloss.
» Das ist Martin « , erklärte Carmen, » mein Mann. Wir sind die beiden Hauptverantwortlichen in der Mühle und wohnen auch hier. «
Ich stöhnte auf: » Ach du Schreck! «
» So schlimm ist das nicht. «
» Das meinte ich nicht. «
» Was denn dann? «
» Dein Mann. Er kam vorhin ins
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