Die Liebe in Grenzen
Speisesaal geführt? Na, mich wundert gar nichts mehr. « Er steuerte direkt auf mich zu, streckte mir die Hand entgegen, als hätte er mich noch nie zuvor gesehen: » Ich bin Martin, freut mich, dich kennenzulernen. «
» Katia. Freut mich auch! «
» Konrad hat übrigens gemeint, wir sollen sie nehmen « , bemerkte Carmen.
» Hat er das? «
Sie nickte und zuckte gleichzeitig mit den Schultern.
Martin musterte mich von oben bis unten, schlieÃlich sagte er: » Erstaunlich. «
» Allerdings. «
Ich war unsicher, wie und ob ich überhaupt darauf reagieren sollte, aber Martin enthob mich der Notwendigkeit mit einem aufmunternden Lächeln, wandte sich dann seiner Frau zu und meinte: » Gut. Lad sie zum Abendessen ein, und wenn sie danach immer noch will, ist im Anschluss Teamsitzung, da können wir es gleich entscheiden. «
Bevor er zu Ende gesprochen hatte, war er schon wieder zur Tür geeilt, die er mit einem freundlichen » Bis später, ich muss noch nach den Setzlingen sehen! « hinter sich zuzog.
» Martin erholt sich gern beim Gemüse « , sagte Carmen mehr zu sich selbst. Sie trat ans Fenster, das weit geöffnet war. Während sie es schloss, stand ich ebenfalls auf und tat einige Schritte, um nicht allein am Tisch zu sitzen.
An der Stirnwand des Speiseraums war eine Durchreiche, die den Blick auf eine mutmaÃlich jahrzehntealte Küche freigab.
Carmen sammelte herumliegende Zeitschriften ein und legte sie zu einem Stapel zusammen, während sie über die Undurchsetzbarkeit von festen Regelarbeitszeiten für die Mitarbeiter sprach. Vor einem quadratischen Bilderrahmen, auf den ich aufmerksam geworden war, weil er mit seiner breiten Goldleiste so gar nicht zu den anderen modernen Rahmen passte, blieb ich stehen. Die kleine Zeichnung darin wurde von einem dunkelbraunen Passepartout fast erschlagen: Drei ausgemergelte Gestalten wickelten ihre Körper umeinander, Arme und Beine von unnatürlicher Länge wanden sich schlangenartig um Hälse, GliedmaÃen, Köpfe. Münder wie zum Schrei geöffnet, spinnenartige Finger krallten sich hinein, rissen an Kiefern, verzerrten die Gesichter zu Fratzen. Unwillkürlich hielt ich den Atem an angesichts von so viel Enge, Entsetzen und nackter Brutalität.
Carmen war neben mich getreten, schaute mit zusammengekniffenen Augen auf die Zeichnung, als sähe sie sie zum ersten Mal.
» Gruselig, oder? Wenn man jeden Tag daran vorbeiläuft, nimmt man es irgendwann nicht mehr wahr. Aber gewöhnen werde ich mich an dieses Bild bestimmt nie. Glücklicherweise sehe ich ohne Brille unscharf. Beim nächsten Tag der offenen Tür muss ich es aber abhängen. «
» Ich finde es groÃartig « , sagte ich.
Carmen sah mich irritiert an. » Es ist aber doch auch sehr furchteinflöÃend. «
» FurchteinflöÃend und groÃartig. «
» Das wird ihm gefallen! «
» Wem? «
» Konrad. «
» Hat er das Bild aufgehängt? «
» Er hat es gemalt. Vermutlich glaubt er, von einem, den die sogenannten Experten als Borderliner eingestuft haben, wird so krankes Zeug erwartet. Aber möglicherweise wollte er mich auch bloà ärgern. «
» Ist er das denn, ein Borderliner? «
» Er spielt ab und zu mit diesem Begriff, nennt sich dann selbst Irrer, zeichnet solches Zeugs, verstört andere mit seinem Auftreten ⦠Du hattest ja eine Kostprobe davon. Ich bin mir aber sicher, dass er das kontrolliert und ganz gezielt einsetzt. Also, nein, kein Borderliner, wenn du mich fragst. Von Dr. Albrecht â das ist hier der behandelnde Arzt â würdest du vermutlich eine andere Meinung hören. Doch der lässt sich von Konrads Vater vor den Karren spannen. Wie auch immer, das tut hier nichts zur Sache. Ich habe dir erklärt, dass wir in der Mühle mit diesen Begrifflichkeiten nicht operieren, du solltest dich auch daran halten. Konrad ist Konrad, das genügt. Er hatte in seinem Leben einige schwerwiegende Probleme, die er inzwischen recht gut im Griff hat, auf seine spezielle Weise zwar, aber er kommt klar. Dass er noch immer auf diesem Gelände wohnt, liegt daran, dass es so besser für ihn ist. Im Ãbrigen kümmert er sich weitgehend um sich selbst, deshalb der Sonderstatus. Das ist alles, was du für den Anfang über ihn wissen musst. «
Erst starrte ich Carmen, dann wieder die verschlungenen GliedmaÃen
Weitere Kostenlose Bücher