Die Liebe in Grenzen
euch die Regeln gerade so, wie ihr es brauchen könnt, oder? « , fragte Suse.
» Wenn es dich stört, wie wir hier unsere Sachen regeln, kannst du jederzeit gehen. «
Das dünne Mädchen neben Mischa zuckte zusammen wie nach einem Schlag, ihre strähnigen langen Haare fielen ihr dabei ins Gesicht. Sie murmelte etwas Unverständliches, das sehr bitter klang.
Helmut fuhr Carmen an: » Das ist nicht fair, und das weiÃt du auch. «
Am liebsten hätte ich Helmut ausdrücklich zugestimmt, fing aber rechtzeitig ein Zeichen von Martin auf, der den Zeigefinger nur für mich sichtbar in seinem Schoà warnend bewegte. Zu meiner Ãberraschung wehrte sich Carmen nicht gegen den Vorwurf. Immerhin war sie soeben von einem Bewohner, der auf sie angewiesen war, scharf kritisiert worden.
» Tut mir leid, Suse « , sagte sie sogar. » War nicht so gemeint, mich nervt dein Gemecker manchmal, und wie leicht man die Geduld verlieren kann, verstehst du sicher besser als alle anderen. «
Suse stand auf, eilte Richtung Tür, wurde aber auf halbem Weg von Helmut am Pullover festgehalten.
» Bleib hier, sie hat doch gesagt, dass es ihr leidtut. «
» Wie manâs nimmt. Ich scheià eh auf das, was sie sagt! «
Sie wehrte ihn ab, kehrte dann aber wieder an ihren Platz neben Mischa zurück.
Während der nächsten Viertelstunde wurde nicht gesprochen.
Martin schien das alles nicht weiter zu berühren. Er verspeiste erst in Ruhe sein Abendbrot, wischte sich dann mit dem Handrücken über den Mund, erhob sich und klopfte gegen seine Teetasse, obwohl es immer noch totenstill war. » Bevor ihr alle wieder auf euren Zimmern verschwindet, würde ich gern eine erste Vorstellungsrunde anregen, damit Katia einen Eindruck bekommt, mit wem sie es hier zu tun hat. «
Allgemeines Genörgel erhob sich, Mischa stierte auf seinen leeren Teller und drehte ihn auf der Stelle. Suse hatte für Martin offenbar nur ihren verächtlichen Blick übrig. Als ich sie später näher kennenlernte, verstand ich, dass ihr Zorn eher grundsätzlicher Art und nicht persönlich gemeint war. AuÃer Mischa traf er so gut wie jeden von uns.
Nach einem Suizidversuch und mehreren gewalttätig-hysterischen Ausbrüchen Lehrern, Ãrzten, Eltern und Geschwistern gegenüber, die allesamt mit einer Einweisung endeten, hatte Suse in der Goldbachmühle eine letzte Chance bekommen. Ihr drohte die Einlieferung in ein Landeskrankenhaus, doch Martin beharrte auf seiner Ãberzeugung, das Mädchen sei nicht krank, sondern hypersensibel. Was sie brauche, sei emotionale Stabilität und die Möglichkeit, wieder etwas Vertrauen zu sich selbst zu gewinnen.
» Wenn einem so empfindsamen Mädchen die eigene Mutter ständig vermittelt, dass es nichts wert ist, dann schlägt es irgendwann um sich oder resigniert « , erklärte mir Martin später, und Carmen fügte hinzu: » Mir ist es lieber, sie schlägt um sich, als dass sie wieder abtaucht und allein in den Wald geht. Wir müssen ihr helfen, ihren Zorn umzulenken, dann kann sie ihn als Motor nutzen. «
Des Ãfteren sollte ich noch überlegen, ob Carmen vielleicht deshalb gelegentlich so hart zu Suse war, weil sie glaubte, weniger Angst um sie haben zu müssen, wenn sie im Zustand der Wehrhaftigkeit war. An diesem Abend dachte ich nur: Reichlich Sprengstoff, der hier so ungesichert herumliegt.
Carmen zog ihren Mann auf seinen Stuhl und sagte: » Lass mich das mal mit dem Vorstellen machen, Schatz. «
Martin klappte den Mund zu und sah seine Frau so irritiert an, dass ich mich fragte, ob allein die unter Eheleuten nicht unübliche Anrede der Grund dafür sein konnte. Was für eine Art Paar stellten die beiden überhaupt dar? Sie lebten zusammen, sie arbeiteten zusammen, und das vermutlich schon seit längerer Zeit. Sie mussten auf einer Ebene, die ich vom ersten Anschein nicht gleich benennen konnte, gut harmonieren. Anders konnte man ein solches Engagement nicht bewältigen. Meine eigenen Eltern hatten, soweit ich mich an sie als Paar überhaupt erinnere, kaum einen Tag freiwillig miteinander verbracht. Selbst im Urlaub war meine Mutter lieber Reiten oder zum Yoga gegangen, als meinem Vater Gesellschaft zu leisten. Und Manu hatte einmal behauptet, unter Garantie würde sie mit einem Mann Streit beginnen, würden sie sich auch im Job sehen. » Gemeinsames Bett, getrennte Arbeit
Weitere Kostenlose Bücher