Die Liebe in Grenzen
für einen Brief aus der Stadt von Johanna von Orléans sein? Eine Postkarte der Kathedrale hätte ausgereicht, um mich dieses verunglückten Abends zu entsinnen â auÃer, er hatte das Schweigen seinerseits für beendet erklärt. In dem Umschlag, Leinenoptik, gefüttert, muss etwas von ihm sein, ein Wort, viele Worte, etwas, das kein anderer zu Gesicht bekommen soll. Er wird keinen leeren Umschlag durch die Gegend schicken.
Andererseits â¦
Zwei kleine Hinweise, einer davon nicht einmal entschlüsselt, und schon hat er mich wieder am Haken.
Hat er nicht. Ich muss mich nicht darauf einlassen.
Solange ich den Brief nicht lese, besteht das Schweigen weiter.
Und selbst wenn â¦
Manu kommt näher, macht Anstalten, nach dem Brief zu greifen, lässt es dann aber doch, legt stattdessen ihre Hand auf meine Schulter.
» Hey ⦠«
Ich schüttle sie ab, überlege, ob ich sie bitten soll, mich einfach in Ruhe zu lassen, aber das würde nur das Gegenteil bewirken.
» Hat nichts zu bedeuten « , murmele ich, obwohl ich davon ausgehe, dass Manu mich gleich mit einer Tirade überziehen wird, weil ich lüge.
Doch sie schwingt bloà ihren Hintern auf die Tischkante, neben den Brief, und sagt: » Das sehe ich. Aber ganz wie du willst, dann werde ich dich eben auf andere Gedanken bringen: Wir gehen raus! «
» Ich weià nicht so recht, ob mir danach ist. «
» Komm schon! Wie lange sind wir nicht mehr unseren Lieblingsweg gegangen? Du sagst doch immer, wie gut es dir tut, das Hirn auszulüften. «
Ich nicke, weil ich sie sowieso nicht abwimmeln kann.
» Wunderbar! « , jubelt Manu. » Erst spazieren, dann shoppen. Bis mittags sind noch alle Läden offen. Und wie gesagt, du musst mir etwas schenken, das ist deine Aufgabe für heute. Ich will aber nichts Selbstgebasteltes. « Ich lache nun doch, und Manu stöÃt mir in die Seite: » Auf gehtâs! «
Sie hechtet vom Tisch und verzieht sich ins Bad.
» Ich weiÃ, womit man Morgentraurigkeit im Keim ersticken kann « , sagt sie noch, bevor sie die Tür verschlieÃt.
» Bilde dir nichts ein. AuÃerdem bin ich nicht traurig. «
» Klar, dir gehtâs super. «
» Keine Problemgespräche, sonst bleibe ich hier! «
Gut dreiÃig Minuten später sind wir auf dem Weg in die Innenstadt, ich im Parka, sie im Wollmantel mit Kunstpelzkragen. Der Brief bleibt ungeöffnet auf dem Küchentisch liegen.
Während ich versuche, mich auf ihr betont nebensächliches Geplauder zu konzentrieren, spazieren wir an der Alster durch die Kälte, mindestens eine Stunde lang. Dann zerrt Manu mich in ein Café mit der Drohung, sie würde auf der Stelle tot umfallen, bekäme sie nicht augenblicklich etwas HeiÃes und Kalorienhaltiges zu trinken.
In dem nach Zimt duftenden Raum sitzen Menschen vor Tassen und Kuchentellern zwischen üppiger Weihnachtsdekoration. Unter jedem Stuhl warten unzählige prall gefüllte Plastiktüten darauf, in Richtung Gabentisch getragen zu werden, während die Leute, die den Kampf der letzten Einkaufsmöglichkeit für eine Kaffeepause unterbrochen haben, vor Erschöpfung in sich zusammengesunken auf ihren Stühlen der süÃen Sachen harren. Manu und ich sehen uns an, schütteln beide gleichzeitig den Kopf über die sich uns darbietende Szenerie. Wir kichern wie zwei Teenager. Das funktioniert also noch.
Die Bedienung weist uns einen Tisch zu, stellt wenig später Tee und Kakao vor uns ab. Manu wartet, bis sie gegangen ist, und sagt, statt ihre durch die Kellnerin unterbrochene Geschichte vom Besuch eines Berliner Jazzclubs wiederaufzunehmen: » Ich kenne den Absender. «
Ich brauche einige Sekunden, bis ich mich von dem Schrecken erholt habe.
» Was? «
» Ich meine den Ort, Saint-Maclou. Ich weiÃ, was das ist. «
» Das ist ein Ort? « , sage ich gedehnt, um Zeit zu gewinnen. » Ich dachte, Rouen wäre der Ort und Saint Dingsbums die StraÃe. «
Manu schüttelt den Kopf: » Nicht Ort im Sinne von Dorf oder Stadt. «
» Wie soll ich das denn jetzt verstehen? «
» Saint-Maclou ist in Rouen, ein Beinhaus, in dem man die Gebeine von Toten aufbewahrt. AuÃerdem haben sie dort Pestkranke gepflegt. Jan, der Freund, den du auch kennst, war letztes Jahr in dem Beinhaus gewesen. Ist gruselig dort, aber auch schön, jedenfalls hat er das gesagt. «
» Ein
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