Die Liebe in Grenzen
Ort auf mich wirken lassen. Durch die Studenten herrscht heutzutage sowieso eine ganz eigene Atmosphäre dort: Staffeleien stehen in den Fenstern, ab und zu hört man ein Radio, und alle, mit denen man ins Gespräch kommt, sind froh, dass sie die Räumlichkeiten zur Verfügung haben. An die Pest denken nur die Feriengäste oder die Nekrophilen unter den Malern. Aber was treibt Katias Liebhaber eigentlich da? «
» Ex « , sagt Manu, » angeblich. « Dabei klatscht sie mir das Foto vor die Brust. » Mehr weià ich auch nicht. «
Ich greife nicht rechtzeitig zu, und das Foto segelt zu Boden, schlittert einige Zentimeter übers Parkett, bis ich es mit zwei hastigen Schritten erreiche und an mich nehme. Wenn Konrad die Katze gezeichnet hätte, denke ich, dann wäre es wirklich grauenhaft geworden, dann hätte man geglaubt, die Katze noch schreien zu hören, ihren Todeskampf unmittelbar mitzuerleben. Die Aussichtslosigkeit des letzten Aufbäumens wäre in ihrer ganzen Brutalität zu sehen gewesen, und man hätte lange gebraucht, um sich von diesem Anblick zu erholen.
Als ich mich wieder aufrichte, ist Manu fort, wohl zurück in die Küche gegangen.
Jan steht noch in der Tür. Er flüstert: » Hab ich was Falsches gesagt? «
» Nein « , antworte ich. » Im Gegenteil, du warst eine groÃe Hilfe. «
6 â Keimbedingungen
A n einem Montagmorgen um sieben begann mein erster regulärer Arbeitstag in der Goldbachmühle. Frühstücksdienst. Eine detaillierte Einweisung sei nicht nötig, hatte Carmen gesagt, ich solle mich in der Küche bei Helga melden, der diensthabende Erzieher sei Theo, er werde etwas später kommen. » Alles Weitere ergibt sich, wenn du da bist. Vor neun tauchen in der Regel nur die Bewohner auf, die Gesprächstherapie haben, aber montags steht keine auf dem Plan, du wirst also genug Zeit haben, dir alles anzuschauen und erklären zu lassen und selbst noch in Ruhe einen Kaffee zu trinken, bevor jemand über dich herfällt. «
Die letzte Bemerkung war mit Sicherheit scherzhaft gemeint, was sie aber darüber hinaus konkret bedeuten könnte, beunruhigte mich trotzdem ein bisschen. Niemand dort würde mir an die Gurgel gehen, das war klar, aber mit jedem Schritt, den ich mich nach der Vertragsunterschrift weiter vom Gelände entfernt hatte, waren auch die Zweifel an meiner tatsächlichen Eignung für diese Arbeit wieder gröÃer geworden.
Martin hatte mir mit dem Arbeitsvertrag einen Schlüsselbund ausgehändigt und alles Gute für den Start gewünscht. So stand ich also an diesem Morgen, gerade einmal fünf Tage nach meiner unverhofft erfolgreichen Bewerbung, erneut vor dem alten Klinkerbau, diesmal ermächtigt, die schwere Holztür selbst zu öffnen. Ich betätigte vorsichtig das Schloss, um möglichst wenig Lärm zu machen, trat in den Flur und tastete nach einem Lichtschalter. Nachdem ich es geschafft hatte, Licht zu machen, sah ich mich nach allen Seiten um, damit ich von niemandem überrascht würde. Vor dem Betreten des Hauses hatte ich zwar links um die Ecke geschaut und die Fenster des AuÃenapartments dunkel und mit Vorhängen zugezogen vorgefunden, dennoch war nicht auszuschlieÃen, dass er mich im Schein der Laterne hatte kommen sehen und über eine direkte Verbindung ins Haupthaus gelangt war, ohne dass ich es bemerkt hatte. Obwohl ich mich selbst ermahnte, diesem eigenartigen Mann keine allzu groÃe Aufmerksamkeit zu schenken und erst recht keine MutmaÃungen darüber anzustellen, was er von mir hielt, wollte ich gewappnet sein. Wogegen genau, konnte ich jedoch nicht sagen.
Im Flur war niemand. Aus der Küche drang das Scheppern von Blech, dazu Radiomusik, irgendein Klassik-Sender, dann der Gong für die Sieben-Uhr-Nachrichten. Ich klopfte, wartete. Nichts tat sich. Ich klopfte noch einmal.
» Geh einfach rein, sie hört dich nicht. «
Erschrocken fuhr ich zusammen und drehte mich der Stimme zu, die ich hinter mir gehört hatte.
Das dünne blonde Mädchen mit den tiefen Schatten unter den Augen sah an diesem Morgen noch verhungerter und erschöpfter aus als vor ein paar Tagen. Trübe schaute sie auf einen Punkt, der sich etwa zehn Zentimeter rechts von mir befand.
» Guten Morgen, Suse. Freut mich, dass schon jemand auf den Beinen ist. Heute ist meine erste Schicht, und ich bin sehr gespannt, wie das alles so
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