Die Liebe in Grenzen
« , fragt sie.
» Macht nichts, wir müssen nur noch den Tisch decken « , antwortet Manu.
Jan und Robert, beide betont lässig in Jeans und Kapuzenpullis, habe ich bislang auch nur selten getroffen. Sie begrüÃen mich erfreulicherweise nur per Handschlag. Und während ich frage, ob sie etwas trinken möchten, spüre ich einen leichten Druck zwischen den Schulterblättern, dann Papier, das mir von hinten in die Hand geschoben wird.
Augenblicklich verlasse ich die Küche, renne fast in mein Zimmer, stecke, ohne zu zögern, an der Seite des Umschlags den Daumen hinein und reiÃe ihn auf.
Manu ist mir nachgegangen, sie steht in der offenen Tür.
» Soll ich gehen? « , fragt sie.
Doch ich habe die Fähigkeit verloren, ihre Frage auch nur zu verstehen. In dem gefütterten Umschlag ist nämlich kein Brief, sondern ein Foto, ein Hochglanzabzug in Farbe, genauso ohne Worte versehen wie die Postkarte vor vier Tagen. Von einer weichgezeichneten Parklandschaft aber diesmal keine Spur.
Aus der Küche klingt Gelächter.
Manu wippt mit den FuÃballen auf und nieder, wartet auf eine Antwort, eine Information, doch die zu geben, auch dazu bin ich nicht in der Lage. Denn was ich sehe, ist die Aufnahme einer halb mumifizierten, halb skelettierten Katze, staubig, räudig, die Zähne gebleckt, vorstehende Rippen, die ausgedörrten GliedmaÃen mit einer Kordel zusammengebunden, ein strangulierter Zombie im Haustierformat, absolut widerlich.
Stumm reiche ich Manu das Foto, sie nimmt es, betrachtet es eine gefühlte Ewigkeit, sagt dann heiser: » Das ist eine eindeutige Drohung. Ich ruf die Bullen an! «
» Was ist los? «
Wir beide haben Jan nicht kommen hören, der jetzt hinter Manu im Flur steht. Als wir auf seine Frage nicht eingehen, wird er lauter: » Redet ihr bitte mit mir? Wer bedroht euch? Braucht ihr Hilfe? «
Ehe ich es verhindern kann, hält Manu ihm das Foto unter die Nase. Jan wirft einen Blick darauf und sagt eher belustigt: » Das ist die Katze vom Pesthof, ja und? «
Manu fällt die Kinnlade runter, ich fange an zu lachen.
» Was ist eigentlich euer Problem? « Jan sieht verwirrt aus.
Manu fängt sich als Erste und sagt: » Katia hat einen Ex-Lover, der ihr derartige Horrorsachen zu Weihnachten schickt. «
» Tote Katzen? «
» Das Foto einer gefesselten toten Katze, ebendieses hier. «
Noch immer bin ich nicht fähig, mich am Gespräch zu beteiligen. Erst langsam begreife ich, dass es keinen Brief gibt, keine Worte, keine Sätze, keine ÃuÃerungen der Enttäuschung, keine der Sehnsucht, keine des Bedauerns über den Verlust unserer Liebe und erst recht keine Aufforderung zurückzukommen. Nur ein Bild. Nicht gerade ein schöner Anblick, sicher, aber es ist nichts weiter als ein Foto, von ihm oder von jemand anders aufgenommen. Und wenn ich gar nicht erst versuche, einen Sinnzusammenhang zwischen der bedauernswerten Kreatur und einer möglicherweise daraus folgenden Botschaft an mich herzustellen, muss ich nicht einmal über eine Form der Antwort nachdenken.
» Aber ein krankes Arschloch ist er dennoch! « Manu ist wirklich empört.
Jan zuckt mit den Schultern. » Wieso? Die Katzenmumie hängt in Saint-Maclou in einer Vitrine neben dem Eingang. Und sie ist nicht gefesselt, sondern, wie man auch auf der Aufnahme erkennen kann, an einer alten Kordel in der Mauer befestigt. Jeder fotografiert das, ich war da keine Ausnahme, es gibt sogar Postkarten davon. Soweit ich weiÃ, hat man im Mittelalter öfter mal was Lebendiges eingemauert, sogenannte Bauopfer. Sollten schlimmes Unheil abwenden. «
Manu schüttelt den Kopf. » Ich bleibe dabei, das ist irre. «
» Es ist vielleicht nicht gerade die geschmackvollste Art, jemandem Weihnachtswünsche zu schicken « , Jan bemüht sich weiter um Verständnis, » aber vom Symbolgehalt her kann man das auch positiv sehen. Eine tote Katze vertreibt böse Geister und hält Krankheiten fern. Die alten Ãgypter haben sogar Katzen für ihre Gräber mumifiziert. Bei diesem Tier in Saint-Maclou ist noch immer ein Hauch des alten Grauens zu erahnen, aber wenn man im Innenhof sitzt, überkommt einen ein eigenartiger Frieden. Das ist schwer zu vermitteln, wenn man nicht selbst dort gewesen ist. «
» Frieden, ja? « , hake ich nach.
» Doch. Als ich da war, habe ich lange auf einer Bank gesessen und den
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