Die Liebe in Grenzen
Sanatorium für Pestkranke? «
Ich bin zu laut geworden, vom Nachbartisch schaut eine ältere Frau mit Filzhut irritiert zu uns herüber.
Manu senkt die Stimme: » Heutzutage natürlich nicht mehr. Jetzt ist eine Kunstschule darin. Deswegen hatte Jan sich das alles angeschaut. Er zeigte mir auch Fotos, Totentanzszenen in Holz geschnitzt und so was. Es muss ziemlich speziell sein, in diesem Gebäude Kunst zu studieren, wenn du mich fragst. «
» Dann passtâs ja. «
Manu schaut mich über den Rand ihrer Kakaotasse an, ein Klecks Sahne klebt auf ihrer Nase, sie sieht lieb aus und besorgt. Fehler, denke ich. Ihn zu erwähnen, ist die Vorlage für ein Gespräch über das, was mit uns gewesen ist, und das ist das Letzte, das ich in diesem Augenblick will.
» Vergiss es einfach. «
Vielleicht bohrt sie einmal nicht nach, doch wenn ich die Signale ihrer Augen und Mundwinkel richtig deute, ist sie ernsthaft beunruhigt.
» Es ist nicht der erste Brief von ihm, oder? «
» Doch. «
» Lüg nicht! «
» Tue ich auch nicht. Denn wenn es ein Brief ist, was da bei dir auf dem Küchentisch liegt, dann wäre es der erste. Seit ⦠«
» Was sollte es denn sonst sein, wenn nicht ein Brief? Und woher weià er überhaupt, dass du bei mir bist? «
Ich trinke meinen Tee aus, stelle die Tasse auf das kleine silberne Tablett mit der Sanduhr und dem Milchkännchen und stehe auf.
» Keine Ahnung, wirklich. Er findet Sachen einfach heraus, darin ist er ein Meister. «
» Setz dich wieder hin, Katia! «
Ich sehe zu ihr hinunter. » Wenn du auf einem Weihnachtsgeschenk bestehst, muss ich jetzt los. «
» Sei nicht albern, das mit dem Geschenk war nicht ernst gemeint. Nimm wieder Platz und erzähl mir, was los ist. Bitte! «
Ich gehe, ohne meine Freundin anzusehen.
Als ich am frühen Abend die Wohnung betrete, liegt der Umschlag noch immer auf dem Esstisch, nicht um einen Millimeter verschoben.
Manu steht am Herd, den Rücken mir zugewandt. Sie dreht sich nicht um, sondern sagt mit leichtem Vorwurf in der Stimme: » Wir bekommen gleich Gäste. «
» Was für Gäste? «
Manu bückt sich, schaut in den Backofen, dann in die Töpfe.
» Okay, es ist deine Wohnung, du musst mir also nicht erzählen, wer zum Essen erscheint. «
Manu fährt zu mir herum und faucht mich an: » Meinst du nicht, dass es für heute reicht? Du hast dich so was von bescheuert aufgeführt. Mitten im Gespräch haust du ab, tauchst Stunden später wieder auf, ohne dass du dich einen Dreck darum geschert hast, ob sich jemand Gedanken um dich machen könnte. Die Mitbewohnerin darf nur hoffen, dass du wieder auftauchst und dich nicht in die Alster gestürzt hast. «
» Manu, du kennst mich, deine Sorgen kannst du dir sparen. «
» Ja, klar, Katia kommt am besten allein zurecht, miteinander sprechen hält sie für maÃlos überschätzt, und deshalb darf die beste Freundin auch mitten im Satz sitzen gelassen werden. «
» Manu, so war das nicht gemeint. «
» Du kannst nicht immer alles mit dir ausmachen, niemand schafft das auf Dauer. «
Warum sage ich ihr nicht, dass sie die Erste wäre, mit der ich reden würde, wenn ich denn reden wollte, dass ich aber manchmal ein Schweigen brauche und Platz, viel Platz, zwischen mir und den Dingen, die wehtun? Fange ich zu sprechen an, verliere ich vielleicht den Faden und mich gleich mit. Dass es Manu, die ständig über alles, was sie bewegt, diskutieren will, im GroÃen und Ganzen damit besser geht, bezweifle ich nicht zum ersten Mal.
In diesem Moment klingelt es mehrmals hintereinander. Manu läuft an mir vorbei und drückt im Flur den Türöffner.
» Ich habe Isabell, Jan und Robert eingeladen « , erklärt sie. » Iss mit uns oder geh wieder, es ist mir egal. «
Wo soll ich denn hin, nach diesem von Traum und Alptraum durchsetzten Jahr, in dem ich gründlich dafür gesorgt habe, dass fast alle, die mir etwas bedeuten, von mir enttäuscht sind?
Von der Wohnungstür her höre ich Stimmen, kurz darauf schiebt sich mir ein Meer von knisternder Plastikfolie entgegen, der faulig-süÃe Duft von Schnittblumen, die zu lange im Wasser gestanden haben, dann ein schweres, sandelholzlastiges Parfum, als Isabell, eine brünette Gazelle, mir um den Hals fällt, obwohl wir uns kaum kennen.
» Sind wir zu früh?
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