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Die Liebe ist ein Dieb und der Pirat der Träume (German Edition)

Die Liebe ist ein Dieb und der Pirat der Träume (German Edition)

Titel: Die Liebe ist ein Dieb und der Pirat der Träume (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Garber
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tun würden, muss dem, was wir glauben, tun zu müssen , Platz machen. Träume müssen praktischen Dingen weichen. Unsere Erwartungen ans Leben sind anfangs riesengroß, doch eine Ablehnung, eine verpasste Gelegenheit, mangelndes Vertrauen, Zeit, Geld, Mittel oder Zuspruch führen alle zum selben Ergebnis: Wir schrauben unsere Erwartungen zurück, überdenken sie, bis sie nicht mehr ganz so stark glänzen, bis sie ein wenig ‚realistischer‘ sind. Immerhin sind wir jetzt ja erwachsen, wir wissen, wie die Welt funktioniert, mit Träumen kann man keine Rechnungen bezahlen, also nehmen wir uns noch weiter zurück, und einige Träume werden ganz von unserer Liste gestrichen, bis wir dort landen, wo wir heute sind.
    Die meisten von uns, die wir heute hier sind, haben diesen Prozess bereits begonnen. Jemand, der hierherkam, um leitender Komponist bei Disney zu werden, denkt jetzt vielleicht, er könne sich glücklich schätzen, einen Teilzeitjob bei Paramount zu ergattern. Eine Geigerin, die gehofft hatte, bei den New Yorker Symphonikern angenommen zu werden, glaubt jetzt, dass es genauso gut Boston sein könne. Vielleicht gab es heute einen Anfängerkurs Italienisch, doch Sie sind nicht hingegangen, weil Sie dachten: Wie groß sind schon die Chancen, dass ich jemals in Venedig spielen werde? Wir alle geben unsere Träume auf. Heute haben wir einen Gast hier, der das aus eigener Erfahrung bestätigenkann. Sie träumte davon, Konzertpianistin zu werden. Sie hatte einen Platz hier an der Schule bekommen, damals, vor vielen Jahren. Aber die Verpflichtungen zeigten ihre hässliche Fratze: die Pflicht, zu heiraten, sich häuslich niederzulassen, das Richtige in den Augen ihrer Familie und der Gesellschaft zu tun. Hinzu kamen die Zweifel, ich meine, wie groß sind die Chancen, wirklich gut genug zu sein, um Konzertpianistin zu werden? Sie redete sich ein, dass es wohl nie so weit kommen würde. Und schon ließ sie ab von ihrem Traum, der sich langsam verflüchtigte, und das Gerüst ihrer Ambitionen brach in sich zusammen. Aber sie gab nicht ganz auf. Sie ist zurückgekommen und wird heute Abend noch einmal nach ihrem Traum greifen, hier zu spielen, so, wie sie es sich vor langer, langer Zeit erträumt hatte. Und dafür sind wir dankbar. Es inspiriert uns. Wir verneigen uns ehrfürchtig vor ihr. Unser Motto des heutigen Abends lautet also schlicht und ergreifend: Gebt zur Abwechslung einmal nicht auf, lasst nicht locker, bewahrt euch eure Hoffnungen auf die Zukunft. Wir müssen uns hin und wieder die Möglichkeit einräumen, auch noch träumen zu dürfen, und heute Abend tun wir es. Jetzt möchte ich Ihnen Beatrice Van de Broeck vorstellen, die Frau, die sich ihre Träume bewahrt hat. Beatrice Van de Broeck, meine Damen und Herren!“
    Er ging an die Seite, half einer sich langsam bewegenden Beatrice unter donnerndem Applaus auf die Bühne und geleitete sie zu dem großen, in der Mitte aufgebauten Flügel. Sie setzte sich, und das Publikum wurde still. Während alle darauf warteten, dass sie anfing zu spielen, breitete sich langsam Unbehagen aus. Sie legte die Hände auf die Tasten. Ich hielt die Luft an. Sie spielte einen Akkord. Es klang tonlos. Beatrice hielt inne und zog die Hände zurück, so als hätte sie sich an den Tasten verbrannt.
    Ich saß im ersten Rang, doch selbst von dort konnte ich sehen, dass ihre Hände zitterten. Niemand wusste, was er tun sollte. Ich merkte, dass die Leute unruhig wurden. Beatrice schaute ins Publikum und blinzelte ins grelle Licht. Es war schrecklich. Eine neunzigjährige Dame saß allein auf der Bühne und traute sich nicht, eine Note zu spielen. Ich wäre am liebsten zu ihr nach unten gelaufenund hätte sie von der Bühne gezerrt. Gerade als ich genau das tun wollte, kam Huck auf die Bühne marschiert und klatschte heftig, während er ins Publikum nickte und es damit aufforderte, es ihm gleichzutun. Alle stimmten ein und klatschten wie verrückt. Dann setzte er sich neben Beatrice. Er legte einen Arm um sie und drehte sie zum Publikum herum. Sie drehte sich schüchtern und blinzelte, so als wären die Zuhörer die Sonne. Er drückte ihr leicht die Schultern, flüsterte ihr etwas ins Ohr und spielte ein sehr lautes E. Sie machte dasselbe. Er spielte einen Akkord. Sie auch. Ehe ich „Beethoven“ sagen konnte, führten sie ein unglaubliches Duett vor. Am Ende brachte er Beatrice dazu, sich dreimal zu verbeugen, und anschließend spielte sie ein Solostück. Sie mochte zwar neunzig sein,

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