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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Decke. Ein bequemer Sessel.
    Sie trägt eine helle Stoffhose und eine geblümte Bluse. Ein leichtes Kopftuch.
    Dieser Ort ist eine ruhige Enklave, abgeschirmt vom Lärm und Treiben der Straßen.
    An anderen Tischen sitzen ebenfalls Leute. Und in den Innenräumen.
    Sie trinkt ihren Tee.
    Am Abend zuvor hat sie ihren Vater angerufen. Sie haben kurz miteinander gesprochen. Er hat gesagt, er habe sich nicht getraut, nach der Vorstellung auf sie zu warten. Der Beifall sei ihm bis auf die Straße gefolgt.
    Seine Stimme klang müde.
    Sie hat versprochen, ihn zu besuchen, am Sonntag, zum Mittagessen. Dann hat sie das Gespräch beendet.
    Sonntag ist in drei Tagen. Sie bereut ihr Versprechen, hasst ihre Schwäche. Sie wird Pablo anrufen lassen, er wird eine Entschuldigung finden.
    Stattdessen wird sie zum Grab ihrer Mutter gehen und ein paar Blumen niederlegen.
    »Ich bin die Schwester von Paul Selliès.«
    Sie blickt auf.
    Marie wiederholt es.
    Sie trägt eine Hüftjeans, im Licht hat sie das Gesicht eines geschundenen Engels.
    Die Jogar betrachtet die Ringe, die Kratzer.
    Sie deutet auf einen Stuhl. Ein Kellner nähert sich. Sie bedeutet ihm, dass alles in Ordnung sei. Er solle nur ein zweites Frühstück bringen.
    »Ich kann selbst bezahlen«, sagt Marie.
    Die Jogar nimmt die Brille ab und schiebt sie ins Etui. Sie schließt die Zeitung, die aufgeschlagen auf dem Tisch liegt.
    »Kaffee oder Schokolade?«
    Marie wählt Schokolade. Sie wird ihr in einer Teekanne aus Silber serviert. Eine weiße Porzellantasse mit erhabenen Ziselierungen. Überquellende Körbe.
    Die Gärten gehen auf die Rückseite des Papstpalastes hinaus, die Sonne scheint auf die gewaltigen Mauern. In Stein gehauene Wasserspeier stehen im Gras verstreut.
    Die Jogar streicht Butter auf eine Scheibe Brot. Sie deutet auf den Korb.
    »Greif zu … Hier ist alles hausgemacht, die Marmeladen, das Hefegebäck, das Brot.«
    Sie wählt eine Marmelade aus den verschiedenen Sorten, einen kleinen Topf, bittere Orangenmarmelade. Sie schraubt den Deckel ab. Taucht den Löffel hinein, nimmt Marmelade heraus und verteilt sie auf dem Brot.
    Marie betrachtet sie. Sie ist wunderschön, selbstsicher, irritierend. Sie ähnelt einem Vulkan.
    Sie trinkt einen Schluck Schokolade.
    »Ich möchte Sie Anamorphose spielen hören.«
    Sie sagt es, die Augen über der Tasse.
    Die Jogar antwortet nicht.
    Marie fährt fort.
    »Auf der Bühne und nur für mich, Odon Schnadel wird Ihnen sein Theater zur Verfügung stellen.«
    Sie bricht in Gelächter aus.
    »Odon Schnadel wird sein Theater zur Verfügung stellen! Das hat er dir gesagt?«
    Das Du klingt gewaltsam.
    Die Jogar legt das Marmeladenbrot hin.
    »Das kommt nicht in Frage! Und den Text, von dem du sprichst, gibt es nicht mehr. Noch etwas?«
    Marie dreht ihren Löffel in dem süßen Bodensatz ihrer Schokolade, langsame Kreise. Sie will nur das, den Text ihres Bruders hören, auch wenn er korrigiert, überarbeitet ist.
    Danach wird sie verschwinden.
    Sagt sie.
    Ein Paar betritt den Garten durch das graue Tor, das auf die Straße führt. Zwischen den Steinen der Mauer wachsen Pflanzen, Immergrün, Flechten, etwas Farnkraut. Die Frau bleibt stehen, um sie anzusehen.
    Die Jogar schiebt den Korb vor Marie. Lächelt nachsichtig.
    »Du musst deinen Körper ernähren, ihn füllen …«
    Marie wählt ein rundes Brötchen mit goldener Kruste, Sesamkörner kleben daran, ein fast schwarzes Grau.
    Die Körner fallen auf die Tischdecke. Sie nimmt sie mit dem Finger auf.
    »Sie haben die Worte meines Bruders gestohlen.«
    Die Jogar verschränkt die Hände vor ihrem Gesicht und betrachtet Maries Finger, die die Körner zusammenschieben.
    »Ich habe nichts gestohlen … Stehlen hätte nicht gereicht …«
    Sie sagt es mit dieser besonderen Stimme, die Wortenden dehnend.
    »Hätte ich mich damit begnügt, hätte ich nur ein unbedeutendes Werk geschaffen, ohne Begeisterung, wie ein Maler, der sich damit zufriedengibt zu kopieren … oder ein Musiker, der die Partitur eines anderen zum Klingen bringt.«
    Sie nimmt ihr Marmeladenbrot wieder in die Hand. Blickt Marie mit ihren dunklen Augen durchdringend an.
    »Ich habe viel mehr für Selliès’ Text getan.«
    Sie sagt »Selliès«.
    Sie sagt nicht »Für den Text deines Bruders«.
    Marie fühlt sich, als habe sie eine Ohrfeige bekommen. Enteignet, vertrieben aus dieser kostbaren Intimität. Paul und sie, das war eins!
    Die Jogar spricht von der vollbrachten Arbeit. Sie sagt, Anamorphose war ein guter

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