Die Liebe ist eine Insel
worden. Er gehört nicht zum Bühnenbild. Sie wechselt einen Blick mit Phil Nans.
Er zuckt die Achseln.
Sie nähert sich dem Strauß, Nelken, Rosen und Margeriten. Sie spielt weiter, steckt die Finger zwischen die Blätter, legt den Strauß beiseite. Es ist keine Visitenkarte dabei, doch unter dem Grün der Blätter versteckt liegt ein Exemplar von Anamorphose : Ihr Name, Mathilde Monsols, ist mit mehreren schwarzen Balken durchgestrichen. Und korrigiert in Paul Selliès.
Sie erschauert, verspürt ein Unwohlsein.
Sie dreht sich um, kehrt langsam zum Bühnenrand zurück, lässt den Blick durch den Saal wandern. Ein verdunkelter Raum. Die folgenden Sätze kommen in Zeitlupe.
Phil Nans berührt leicht ihre Hand, führt sie mit einem Druck auf ihren Arm und einem Blick auf die Straße zurück, die Roseman Bridge, Madison County.
Die Szene hat nicht länger als eine Minute gedauert.
Sie verzehrt sich, sagt jemand am Ende, wegen des Zustandes, in den die Vorstellung sie versetzt hat.
Nachdem der Beifall verklungen ist, holt sie das Buch und die Blumen.
In den Kulissen flüstert ein Mann: »Einer so schönen Frau folgt man bis ans Ende der Welt.«
Die Jogar schleudert den Strauß auf den Tisch. Das Buch hinterher. Sie kickt die Schuhe von den Füßen, löst ihr Haar und schüttelt den Kopf. Die Nadeln fallen auf den Tisch.
Sie zieht sich um. Schlüpft in ein Wildlederkleid, das sie mit einem breiten Gürtel um ihre Taille zusammenschnürt.
Ein Paar Pumps mit Pfennigabsätzen, sie beugt sich vor und schließt den ersten Riemen. Dann den zweiten.
Legt eine Metallkette um den Hals.
Marie steht reglos an der Tür, die Arme am Körper, in einer Stoffhose, die sie nachlässig auf den Hüften trägt.
Die Jogar richtet sich auf.
Sie entdeckt sie.
Es gelingt ihr nicht, wütend zu sein.
»Du hast das Buch und die Blumen dorthin gelegt, und du wagst es herzukommen …«
Sie blickt sie scharf an, diese nachlässige Art, sich zu kleiden.
»Du bist ganz schön dreist, aber es fehlt dir an Haltung.«
Marie rührt sich nicht.
Leute eilen geschäftig im Gang hin und her, laufen hinter ihr vorbei.
Sie bleibt an der Wand stehen.
»Ich möchte wissen, was Sie getan haben, während mein Bruder sich umbrachte.«
Die Jogar lächelt, von oben herab.
»Das geht dich nichts an.«
Sie kehrt zum Spiegel zurück und bürstet ihr Haar.
»Glaubst du, es würde dir besser gehen, wenn ich deine Erwartungen erfüllt hätte? … Du nährst deinen Hass, wie man Fische mästet, aber nimm dich in Acht, gemästete Fische gehen elendiglich ein.«
Sie nimmt einen gestreiften Borsalino vom Haken, setzt ihn auf und zieht ein paar Strähnen heraus.
Sie geht zur Tür und bleibt neben Marie stehen.
Sie fährt mit dem Finger rasch über die Kratzer auf ihrem Arm.
»Du solltest es mit Rasierklingen versuchen.«
10 Hals- und Beinbruch.
11 Die übliche Antwort darauf. Wörtlich: »Möge der Wolf krepieren.«
M arie geht in die Gärten und legt sich unter den Bäumen auf den Rasen. Aus der Perspektive des Grases beobachtet sie die Spaziergänger.
Die Erde ist kühl.
Sie schläft ein. In ihrem Traum hört sie Gelächter. Ein Banjospieler geht vorbei, die Musik mischt sich in dieses Lachen. Eine alte Frau, die auf einer Bank sitzt, isst Pommes frites mit Senf.
Marie dreht sich um, richtet den Blick zum Himmel. Sie fährt mit den Fingern durchs Gras.
Sie rollt sich auf den Bauch, den Kopf zwischen den Händen. Um sie herum spielen und lachen Kinder.
Auf dem Wasser schwimmt ein Schwan. Seine Füße bewegen sich durch die Lichtreflexe.
Es gibt goldene Tage und traurige. Sie will keine traurigen Tage mehr. Sie will leicht und frei sein.
Für sie ist hier nichts mehr zu tun. Sie wird den Zug nehmen und nach Paris zurückfahren. Morgen vermutlich. Sie hat Freunde, die in der Gegend von Beaubourg Musik machen, sie wird sie besuchen. Sie wird sich Hunde anschaffen, mit ihnen leben.
Sie macht ein Foto aus der Grasperspektive. Die Beine der alten Frau, ihre geschwollenen, schmutzigen Knöchel. Ein Kind mit Spuren von Schokolade im Gesicht. Den Schwan, um ihn ihrer Mutter zu zeigen.
Sie steht auf und schüttelt die Grashalme ab, die an ihrer Haut kleben. Die alte Frau hat einen Rest Brot auf ihrer Bank liegen lassen. Marie nimmt es und wirft es dem Schwan zu. Das Brot treibt auf dem Wasser. Enten, die sich im Schatten versteckt hatten, schwimmen herbei.
Marie verlässt die Gärten über die Treppe, die auf der Seite des alten Viertels
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