Die Liebe ist eine Insel
wartet in den Kulissen, um das Finale zu untermalen, eine Aufnahme, auf der man minutenlangen Regenfall hört. Eine perfekte Illusion.
Damien beginnt seinen letzten Monolog, die Hand zum Himmel erhoben. »Jetzt, da das Gewitter losbricht, kann der Regen den Nomaden ertränken, der ich bin …«
Noch bevor er den Satz beenden kann, lässt ein echter Donnerschlag die Mauern erzittern, und der Regen prasselt auf die Stadt nieder. Die Zuschauer blicken zur Decke, als würde das Gewitter alles verschlingen. Die Wirklichkeit dringt in die Fiktion ein, verbindet sich mit ihr. Für einen kurzen Augenblick weiß das Publikum nicht mehr, ob es im Saal ist oder auf dem Hügel von Nuit rouge . Wo sind wir? Alle scheinen sich das zu fragen. Was dann geschieht, ist verwirrend, magisch. Sie stehen auf. Standing Ovations!
Damien legt die Hände auf Julies Nacken und streicht ihr das Haar aus dem Gesicht. Er nähert seine Lippen ihrem tonverschmierten Mund. Umarmt sie fest, schmiegt sich an sie.
Ringsumher mischt sich der ohrenbetäubende Lärm des Regens in den Beifall des Publikums und die Donnerschläge.
»Liebst du mich?«
»Ja, ich liebe dich …«
Ihre Augen sind geöffnet.
Greg geht, er will Marie finden, sucht sie draußen, auf dem Platz, in den Straßen. Er hat sie durch den Flur fortgehen, verschwinden sehen. Er geht zu Isabelle hinauf. Sie ist nicht in ihrem Zimmer. Er läuft durch die Stadt, sucht sie auf den Bahnsteigen des Bahnhofs.
Er findet sie nirgends.
Als er zum Chien-Fou zurückkehrt, sind die Türen verschlossen, und drinnen brennt kein Licht mehr.
O don läuft durch die Stadt. Impasse Colombe. Er sucht zwielichtige Bars auf, Clubs und Nachtbars.
Tiefe Räuberhöhlen.
Kloaken.
Rue Dévote, ein dunkles Mädchen zwischen zwei Mülleimern. Ein Engelsgesicht, eine Spritze in der Hand. Der Arm noch abgebunden.
Er geht an ihr vorbei, kehrt um, löst die Binde.
Die Türen der Église Saint-Pierre sind verschlossen. Es ist schon lange dunkel.
Er zögert und ruft dann Mathilde an.
Er weckt sie nicht.
Sie ist in einer Bar, in der Nähe der Place des Carmes. Ein tristes Café in einer dunklen Gasse, eine fensterlose Wand. Er geht zu ihr.
Ihre stark geschminkten Augen starren auf ein Glas.
»Warum bist du hier, an einem solchen Ort?«
»Ich mag solche Orte.«
Er legt einen Schein auf den Tresen. Der Wirt legt ihn in die Kasse.
»Lass uns gehen«, sagt er.
Die Jogar rührt sich nicht. Sie reibt den Tisch mit ihrem Daumen.
»Ich hatte Besuch von zwei Journalisten …«
Er kehrt zu ihr zurück.
Mit dem Finger zeichnet sie auf dem Tisch Spuren im Wasser.
»Sie haben unten auf mich gewartet, heute Morgen, ganz früh. Sie haben von Anamorphose und Selliès gesprochen. Sagten, es seien Gerüchte im Umlauf … Sie haben mich gefragt, ob ich für diese Gerüchte eine Erklärung hätte.«
»Und was hast du geantwortet?«
»Dass ich keine Erklärung hätte. Das sei nichts als Gerede, ich habe es auf die leichte Schulter genommen, aber ich habe das Gefühl, sie haben mir nicht geglaubt.«
Er streckt die Hand aus, zwingt sie, den Kopf zu drehen.
Sie versucht ein unsicheres Lächeln.
»Es war Marie, nicht wahr? Warum hat sie das getan?«
Er weiß es nicht.
»Sie hat die Zeitung angerufen, bevor sie dich spielen sah. Hinterher hätte sie es nicht mehr getan. Du hast sie völlig durcheinandergebracht …«
Die Jogar trinkt aus.
Dann war es also ein blöder Zufall, denkt sie.
Odon starrt auf seine Hände.
»Ich habe mehrmals versucht, dich anzurufen, aber du bist nicht drangegangen.«
Sie sagt, dass sie ihr Handy ausgeschaltet habe. Dass sie zum Grab ihrer Mutter gegangen sei.
Er erzählt ihr, was im Theater mit Marie vorgefallen ist. Von ihrem Streit. Dass sie sich den Ring ausgerissen hat, erwähnt er nicht.
»Ich habe Nathalie getroffen, sie hat mir versprochen, alles zu tun, damit die Sache nicht publik wird.«
Er sagt es schnell, ohne sie anzusehen. Er weiß, dass es sie verletzt, wenn er von Nathalie spricht.
Die Jogar lächelt, kratzt mit dem Fingernagel zwischen zwei Vorderzähnen, als wollte sie sie zur Seite schieben.
Sie tut es lange.
»Dann rettet mich also deine Frau …«
»Sie wird bald nicht mehr meine Frau sein.«
Sie errötet.
»Ich bin unmöglich, verzeih mir …«
Er bedeckt seine Augen mit den Händen.
»Was wirst du tun?«, fragt er.
»Ich weiß nicht … Abwarten und sehen.«
Sie presst ihre Lippen auf das Glas. Verharrt eine ganze Weile in dieser Position.
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