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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Stumm.
    Sie denkt über die Konsequenzen nach.
    »Ich möchte, dass du einen Text für mich schreibst«, sagt sie.
    Odon schüttelt den Kopf.
    Mit dem Finger zieht sie die Wassertropfen in die Länge, die auf den Tresen gefallen sind.
    »Dann möchte ich, dass du alt bist …«
    »Ich bin alt.«
    »Ich möchte, dass du hässlich bist.«
    »Ich bin auch hässlich.«
    »Dass du noch hässlicher bist …«
    Er lächelt, möchte aber viel lieber heulen, und das erkennt man in seinen Augen.
    Der Wirt lässt die Rollläden herunter. Stellt die Stühle auf die Tische. Macht die Lichter im Raum aus, lässt nur die über der Bar brennen.

D urch den Regen ist die Rhone träger geworden, sie hat eine schlammige Farbe angenommen. Ocker-, Beigetöne, ein abgestandener Geruch. Ebenfalls niedergedrückt von der Hitze, fließt sie phlegmatisch dahin.
    Odon weiß nicht mehr, wie er sich Marie gegenüber verhalten soll.
    Er kehrt nach Hause zurück.
    Er überquert die Brücke und geht am Fluss entlang. Erschöpft von dem Abend. Von der Nacht.
    Auf dem Steg findet er Big Mac. Hält ihn für einen Stein. Er bückt sich. Die Kröte ist ganz trocken, obwohl es geregnet hat.
    Er hebt sie auf, starr liegt sie auf seiner Handfläche.
    Gestorben im Regen. Oder durch den Regen. So viel Wasser, nach so viel Hitze.
    Er bringt Big Mac ans Ufer zurück.
    In der Nacht beerdigt er ihn. Ein Loch, das er mit den Händen gräbt. Er legt die Kröte hinein und bedeckt sie mit Erde.
    Es kommt ihm vor, als beerdige er einen Teil seiner selbst, stöhnt vor Schmerz.
    Er setzt sich ans Klavier. Alles tut ihm weh. Seine Finger zögern, finden die Töne wieder, er spielt das Requiem von Mozart.
    Ein Requiem für den Tod einer Kröte.
    »Gute Fahrt, Monsieur Big Mac!«
    Er schlägt den Klavierdeckel zu. Etwas zu heftig. Es knallt. Der Lärm hallt in seinem Kopf und in der Stille ringsum.
    Er geht in die Küche, sucht eine Flasche, findet einen Rest Gin.
    Er geht an Deck.
    Betrachtet die Stadt. Diese fast perfekte Sicht, die er auswendig kennt.
    Die Jogar ist noch ein paar Tage in der Stadt. Vor ihrem Hotel zögerte er. Sie sagte: »Du könntest mit hinaufkommen, wir könnten uns das gönnen …«
    Er wollte nicht.
    Sie wandte sich ab.
    Er steckt die Hand in die Tasche, findet seine Zigaretten, einen runden Gegenstand zwischen seinen Fingern, er betrachtet ihn im Licht. Getrocknetes Blut auf einem Goldring. Der Name Paul eingraviert. Er hat den Ring aufgehoben, nachdem er über die Bühne gerollt war.
    Er legt ihn auf das Klavier.
    Trinkt.
    Er denkt an Selliès. Das Schreiben und der Tod, diese Verbindung, diese Obsession.
    Er zieht das Klavier. Er hätte Mathilde folgen, eine Nacht, eine Stunde mit ihr verbringen sollen. Die Füße zerkratzen das Deck. Kalter Schweiß rinnt sein Kreuz entlang. Er drückt seine Stirn gegen das schwarz lackierte Holz. Er bringt es einfach nicht fertig, solche Dinge zu tun, einfache Dinge, ohne große Bedeutung. Julie sagt, man müsse einen Schlussstrich ziehen können. Julie ist jung, sie kann noch viele Schlussstriche ziehen.
    Er hätte ganz einfach mit jemandem schlafen und sich mit der Person wohlfühlen können.
    Er schiebt das Klavier weiter. Hebt es hoch, bringt es ins Gleichgewicht, ein Teil auf dem Deck, der andere über dem Fluss.
    Marie sagt, man töte Elefanten, um Tasten aus Elfenbein zu machen. Er will nicht an sie denken. Er versetzt dem Instrument Fußtritte, unter den Stößen vibrieren die Saiten, ein unheimlicher Akkord. Das Geräusch von Wasser. Das Klavier fällt, treibt. Stößt gegen den Rumpf. Es geht nicht unter.
    Odon atmet tief durch, auf die Reling gestützt.
    Das Klavier liegt eine Weile reglos im Wasser, dann löst es sich, die Wellen lecken an ihm, die Strömung reißt es mit. Es erinnert an ein totes Tier, ein treibendes Gerippe. Entfernt an einen Mann mit dickem Bauch.
    In der Mitte des Flusses angekommen, beginnt es sich zu drehen, in immer engeren Kreisen, bis es schließlich verschwindet.

M arie hat das Theater nicht verlassen. Auf dem Platz waren zu viele Menschen, zu viele Blicke.
    Sie blieb lieber im Flur.
    Als sie Schritte hörte, ging sie ins Büro und versteckte sich hinter der Tür.
    Die Schritte kamen näher. Sie blickte sich um. Hinter ihr nur die Wendeltreppe zum oberen Stock.
    Sie stieg hinauf.
    Seitdem hält sie sich versteckt.
    Ihre Lippe schmerzt, sie ist geschwollen. Ein stechender Schmerz, der in ihren Mund ausstrahlt. Auf einer kleinen Ablage ein Rasierer, Rasierschaum, Seife.

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