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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Schutzkappe, schraubt sie wieder drauf.
    Neben dem Lüster der Digitalisstrauß.
    Die Blumen liegen auf dem Parkett. Die Stiele, abgerissene Blätter.
    Odon bückt sich. Hebt eine Blume auf. Sie standen in der Vase im Büro.
    Er begreift. Es ist offensichtlich. Er setzt sich auf den Bettrand, nimmt den Kopf zwischen die Hände. Marie ist nicht erstickt.
    Wollte sie wirklich sterben, oder glaubte sie, es sei wie im Theater, ein einfaches Spiel?
    Er lässt sich Zeit. Zerquetscht die Blume in der Hand.
    Als er aufblickt, ist Julie da, auch sie hat begriffen.

D ie Nacht auf dem Kahn ist lang. Odon findet keinen Schlaf. Er steht mehrmals auf, geht nach oben, wandert auf Deck hin und her, mit schweren Lidern. Pafft Zigaretten.
    Maries Gesicht geht ihm nicht aus dem Kopf.
    Die Stunden ziehen sich endlos bis zum Morgen.
    Jeff kommt um kurz nach acht. Er wirft nicht wie sonst die Zeitung auf den Tisch. Er nimmt den Helm nicht ab. Alles ist anders, seine Bewegungen, seine Blicke.
    Er sagt kein Wort.
    Odon schlägt die Zeitung auf.
    Innen ein kurzer Artikel über das Feuer, aber kein Wort über Marie.
    Odon trinkt seinen Kaffee.
    Jeff versucht die Blumen zu gießen. Seine Füße schlurfen über das Deck. Er räumt die Töpfe weg, die Pinsel, beginnt tausend Dinge, ohne irgendetwas zu beenden.
    Jede seiner Bewegungen drückt seinen Schmerz aus.
    Der Fluss strömt ruhig dahin, führt Blätter mit sich, fließt unter der Brücke hindurch. Ein neuer Tag, der sonnig zu werden verspricht.
    Jeff nimmt die Hacke und geht ans Ufer. Wortlos.
    Purpurfarbene Digitalis, die schönsten, die giftigsten. Hier pflückte er sie für die Vorstellung, goss sie, damit sie blühten.
    Die Digitalis gedeihen im feuchten Schatten unter den Bäumen, ein ganzes Beet. Sie sind lebendig, sie bringen den Tod.
    Er packt den Griff mit beiden Händen, hebt die Hacke hoch über seinen Kopf und lässt sie entschlossen niedersausen.
    Ein zweiter Hieb, er löst einen Klumpen Erde. Der Saft rinnt aus den verletzten Stielen.
    Odon hört ihn stöhnen.
    Trotz der Hitze macht er weiter. Ein Hieb, ein zweiter. Er legt die Wurzeln frei, reißt sie heraus, auf der ganzen Länge des Beetes. Nach kurzer Zeit ist der Boden übersät. Er zertrampelt, was er herausreißt, murmelt Worte, die wie Gebete klingen.
    Es dauert lange. Odon hat das Gefühl, es seien Stunden.
    Er sagt nichts.
    Er hindert ihn nicht daran.
    Er bleibt einfach an Deck und schaut zu.

D ie Gendarmen kommen am frühen Nachmittag ins Theater. Odon empfängt sie in seinem Büro. Sie reden über das Feuer, den Kurzschluss, die völlig veraltete Installation.
    Sie sagen, Marie habe sich vergiftet, indem sie Digitalisblätter gegessen habe. Sie hätten den Strauß neben ihrem Körper gefunden. Blätterreste im Mund und im Magen.
    Sie hätten ihren Rucksack gefunden, eine Telefonnummer, hätten ihre Mutter angerufen.
    Sie sprechen von der geschwollenen Lippe.
    »Einer der Schauspieler sagt, Sie hätten sich gestritten?«
    Odon lächelt.
    »Es war nicht schwer, mit Marie zu streiten …«
    »Sie trug noch mehr Ringe«, sagt der jüngere Gendarm.
    »Sie hat sie entfernt … Sie liegen oben, auf der Ablage des Waschbeckens.«
    Der Gendarm geht hinauf, um sie zu holen.
    »Wissen Sie, was diese Blumen dort zu suchen hatten?«, fragt der andere Gendarm.
    Odon erzählt ihm von Julies Bühnenfigur, die auf diese Weise stirbt.
    »Die Digitalis standen in der Vase, sie brauchte sie nur zu nehmen.«
    Der Gendarm sagt, es sei Wahnsinn, so ein Stück zu schreiben und es dann mit echtem Gift aufzuführen.
    »Sie hätten Klatschmohn nehmen sollen, es ist die Jahreszeit dafür!«
    »Wir können nicht bei allem schummeln«, sagt Odon.
    Seine Augen sind wie große traurige Seen. Der Gendarm lässt es dabei bewenden.
    Er sagt, die Stromleitungen müsse man trotzdem neu machen lassen. Außerdem müsse Odon aufs Revier kommen, um das Protokoll zu unterschreiben.
    Julie und die Jungs sind in der Garderobe. Julie ist leichenblass. Sie hat nicht geschlafen, nicht gegessen, sie hat tiefe Schatten unter den Augen.
    Sie hat lange geweint.
    Marie wollte sterben, und sie wählte den Tod, den ihr Bruder ersonnen hatte.
    Sie stammelt.
    »Es ist furchtbar, wenn man es sich richtig klarmacht …«
    Sie spricht langsam.
    Sieht ihren Vater an.
    Sie hat diesen Tod gespielt, Abend für Abend führte sie die Blütenblätter mit ihren Fingern zum Mund, es dauerte lange Minuten, es waren echte Digitalis, und Marie war da, im Saal. Sie lernte.
    »Ich

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