Die liebe Verwandtschaft
meiner Tochter, also fragte er sie auf Französisch, ob sie Französisch könne?
»Yes«, antwortete meine Tochter und beendete damit die Konversation.
Was Mitterrand seiner Nation mitzuteilen beabsichtigte, werde ich nie erfahren, denn Renana drehte ihn mitten im Satz einfach ab.
»Diese Stadt ist zum Kotzen langweilig«, verkündete sie.
Ich suchte sämtliche hebräischen Zeitungen zusammen, die ich in den letzten vierzehn Tagen erworben hatte und warf sie ihr vor die Füße.
»Uff«, gähnte mein Töchterlein, »da steht doch nichts als Begin, Begin, Begin.«
»Hast du dir nicht irgendein Buch mitgenommen?«
»Was?«
»Ein Buch. Zum Lesen.«
»Lesen? Das kann ich auch zu Hause, oder?«
Ich schlug vor auszugehen, um irgendetwas zu essen, aber sie war nicht hungrig. Ich fand ein großes Kreuzworträtsel in einer unserer Wochenzeitschriften und hielt es vor ihre gelangweilte Nase.
»Ich habe keinen Bleistift«, murmelte Renana und fügte ein Uff hinzu.
Mag sein, dass sie ein bisschen beschränkt ist. Vielleicht sollte ich irgendwann mit einem Arzt darüber sprechen.
»Ich langweile mich zu Tode«, bemerkte Renana.
Ich hielt die Zeit für gekommen, endlich meine Sensation zu produzieren. Ein ganzes Jahr lang hatte ich, wo immer ich auch ging und stand, Rubiks berühmten Zauberwürfel in der Tasche. Obwohl es mir noch nie gelungen ist, alle Farben auf die gleiche Seite zu drehen, oder vielleicht gerade deshalb. Um mein Dekorum zu wahren, drehte ich die Farben des Würfels einige Male hin und her, dann reichte ich ihn der kleinen Madame Recamier.
»Schau einmal, ob du die Farben ordnen kannst.«
»Was?«
»Ordnen.«
Meine grenzdebile Tochter nahm den Würfel mit trotziger Miene in Empfang, drehte seine Bestandteile kurz hin und her, um ihn mir herablassend zurückzureichen. Überflüssig zu bemerken, dass natürlich alle Farben dort waren, wo ich sie noch nie hingebracht hatte.
Offenbar war es Anfängerglück. Anfängerglück oder Zufall. Wie dem auch sei, sie war wieder gelangweilt. Zugegeben, zehn Pariser Minuten waren vergangen, aber wir hatten noch fünf Tage zu bewältigen.
»Uff«, sagte meine Tochter, »was mach ich nun?«
»Was würdest du zu Hause tun?«
»Was?«
»Zu Hause. Was würdest du tun?«
»Zu Hause habe ich Nava.«
Nava ist, wie erwähnt, ihre Busenfreundin von gegenüber. Nichts Außergewöhnliches, aber immer da, wenn man sie braucht.
Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, Navas Eltern anzurufen, damit sie ihre Tochter nach Paris schicken. Ich kann sie zwar nicht ausstehen, aber darauf war jetzt keine Rücksicht zu nehmen.
»Ich glaube nicht, dass ich Nava hier haben möchte«, sagte meine kleine Gedankenleserin, während sie flach auf dem Rücken lag und an ihren Nägeln kaute, »sie geht mir furchtbar auf die Nerven.«
»Warum versuchst du nicht, hier im Hotel irgendeine Freundin zu finden«, schlug ich ihr, einfallsreich wie immer, vor. »In der Hotelhalle habe ich einige sehr nette Mädchen aus Pakistan gesehen.«
Renanas Gesichtsausdruck sagte eindeutig: »Der Mann ist nicht bei Trost.« Ich schlug ihr verschiedene Spiele vor: Blinde Kuh, Verstecken, Personen raten … irgendwas … Renana würdigte mich keiner Antwort. Ich eilte hinunter zur Rezeption, um Spielkarten zu besorgen. Als ich zurückkam, war Renana in Tränen ausgebrochen. Aus Langeweile vermutlich.
»Also«, rief ich mit meiner fröhlichsten Lieb-Väterchen-Stimme, »wer spielt mit mir Karten?«
»Was?«
»Karten. Spielen wir › Ziehen ‹ .«
»Ziehen« ist ein hochgeistiges, aufregendes Kartenspiel für beliebig viele Teilnehmer. Jeder zieht eine Karte und wer die höchste Karte hat, gewinnt.
»Uff«, sagte Renana, »ein besonders blödes Spiel.«
»Aber Liebling«, warf ihre Mutter ein, »zu Hause spielst du es doch immer stundenlang.«
»Zu Hause«, erwiderte Renana mit mühsam unterdrücktem Zorn, »wir sind nicht zu Hause, sondern in Paris, oder?«
Ich nahm ihren Gedanken auf. »Wenn schon Paris, dann sollten wir doch in ein Museum gehen …«
Nie im Leben werde ich diesen Blick vergessen.
»Museum?«, sagte Renana angewidert. »Ich will nach Hause!«
Das war die erste vernünftige Äusserung, die sie seit ihrer Ankunft von sich gab. Wenn das Kind nach Hause will, soll sie nach Hause. Der Haken war nur das Datum auf ihrem verbilligten Rückflugticket. Von jener Stunde der Glückseligkeit trennten uns ganze fünf Tage.
Die beste Ehefrau von allen schlug vor, etwas zu singen, damit
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