Die Liebe zu Rosen mit Dornen
nahm an, dass Riley sich nicht daran erinnerte, je vernachlässigt worden zu sein.
»Riley will bestimmt bei ihrer Mutter bleiben«, sagte ich. Mit acht Jahren zeigte Riley meiner Schwester gegenüber eine unbändige und unverdiente Loyalität.
»Es ist alles in Ordnung, Tante Gal«, erklärte sie mir am Nachmittag ihres achten Geburtstags am Telefon.
»Guck in eure Schränke und sag mir, was drin ist«, forderte ich sie auf.
Sie reagierte sofort. »Spaghetti-Os, Pizza und viel Gemüse. Ganz viel Gemüse. Meine Mutter zwingt mich, das Zeug zu essen.«
Ich hatte sie erwischt. »Ihr bewahrt Pizza im Küchenschrank auf?«
»Ich dachte, du meinst den Kühlschrank.«
Und so war es immer. Riley beschützte und verteidigte ihre Mutter, und Becky nötigte meiner Mutter alle Hilfe ab, die sie kriegen konnte, ohne sich einzugestehen, dass sie ihre Tochter schon vor langer Zeit hätte weggeben sollen.
Das alles fällt mir ein, während ich an die Zimmerdecke starre und mir anhöre, wie meine Mutter Ausreden für meine Schwester erfindet. SchlieÃlich sage ich: »Was Riley braucht, ist eine vernünftige Ausbildung und ein stabiles Zuhause. Ihre Mutter hat sie total verkorkst.« Ich denke an meine Kollegen mit Kindern. Das erste Kind ist vom Schulgeld befreit. Schon immer hat es mir in meiner sparsamen Seele wehgetan, dass ich diesen Umstand nicht nutzen konnte. »Sie sollte herkommen. Kostenlos ihren Abschluss an einer Privatschule machen.«
»Du wärst ihr nicht gewachsen.«
»Du hast mich noch nicht in Aktion mit meinen Schülern gesehen.« Ich lache in mich hinein. Oh, ich schlafe schon fast. Ich sehe mich am Strand von San Diego, wie ich einen Zeh in den eiskalten Pazifik strecke. »Der Verschmutzungsgrad ist hoch«, nuschle ich. Ich träume von einem meiner Highschool-Projekte. Meerwassertests.
Ihre Stimme wird sanfter. »Ich lass dich mal lieber ausruhen.«
Ich schaffe es gerade noch, die Taste am Telefon zu drücken. Schmerzmittel sind besser als Schlaftabletten. Mondlicht fällt getupft durch die Chiffonvorhänge und wirft abstrakte Rosenmuster an die Decke. Ich schlieÃe die Augen und stelle mir den Stammbaum meiner Rosen vor. Hulthemias. Dreidimensional stehen sie um mich herum, umtanzen mich wie die frechen Blumen bei Alice im Wunderland. Ich lächle im Halbschlaf. Vielleicht kann ich die Rosafarbene mit der Gelben paaren. Ich kreuze Hulthemias in meinem Kopf, und ihre Sprösslinge werden so schnell geboren, als liefe ein Film vor meinem inneren Auge ab. Bis ich einschlafe.
3
Am Montag nach der Behandlung laufe ich vor meiner Klasse auf und ab, und meine bequemen Turnschuhe quietschen auf dem schwarzen Linoleum. Die Ãbungsräume der Naturwissenschaften haben sämtlich schwarze Linoleumböden und schwarze Pulte. An Halloween schmücke ich den Raum wie ein Verlies. Hier gibt es keine Gasleitungen für Bunsenbrenner wie im Chemieraum, aber dafür steht auf den Pulten unter den Fenstern ein ganzes Sortiment von Mikroskopen. Es ist ein Raum, der die Schüler zum Träumen verleitet, im ersten Stock des Gebäudes, mit Blick auf kahle Baumwipfel und den Sportplatz, wo gerade eine Klasse Flag-Football spielt.
Hier hängen keine Heiligenbilder an den Wänden wie im Religionsraum. Die meisten katholischen Schulen sind heutzutage nicht sonderlich katholisch. Es gibt hier nicht mal Nonnen, jedenfalls so gut wie keine. Unser Priester kommt nur einmal im Monat, um die Messe zu lesen. Ansonsten ist es eigentlich eine ganz normale Privatschule.
Seit acht Jahren arbeite ich hier. Kurz bevor meine Niere wieder versagte, habe ich angefangen. Ich kam von einer öffentlichen Highschool, mit gleichgültigem Kollegium und noch gleichgültigeren Schülern. Eine kleinere Privatschule bot mir eine willkommene Abwechslung.
Der Direktor, Dr. OâMalley, wirkte besorgt, als er mich beim Vorstellungsgespräch zum ersten Mal sah, und musterte mich von Kopf bis FuÃ. »Wie wollen Sie die Kinder bändigen?«, hatte er gefragt.
Ich richtete mich zu meiner vollen GröÃe auf. »Erstens komme ich von einer öffentlichen Schule und hatte nie irgendwelche Probleme. Ich dachte, an dieser Schule würde schlechtes Betragen nicht geduldet. Zweitens ist die Zunge mächtiger als das Schwert.«
Dr. OâMalley hatte gelächelt. »Ich glaube, es heiÃt âºFederâ¹. Aber
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