Die Liebe zu Rosen mit Dornen
Sie haben recht. Wir haben hier wirklich brave Kinder.«
»Ich weiÃ, was Sie denken.« Ich lehnte mich über seinen Schreibtisch. »Ich bin krank und werde Sie viel Geld kosten.«
Er wollte widersprechen, doch ich hob meine Hand.
»Lassen Sie mich eins sagen: Niemand weiÃ, was die Zukunft bringt. Ein kerngesunder Mensch könnte morgen von einem Sattelschlepper überfahren werden. Aber ich garantiere Ihnen: Egal, wie viel Zeit mir noch bleibt, wenn ich diese Schule verlasse, wird sie in einem besseren Zustand sein, als ich sie vorgefunden habe.« Ich lehnte mich zurück, hatte gesagt, was ich zu sagen hatte.
Am Ende fand die Schulleitung keinen Grund, mich nicht einzustellen. SchlieÃlich konnten sie ja schlecht sagen, dass ich ihnen zu klein war oder unqualifiziert. Seitdem bin ich hier.
Heute wird die Klasse etwas über Osmose lernen. Osmose dürfte wohl einigermaÃen leicht zu verstehen sein, und auÃerdem macht das Experiment SpaÃ. Ich habe Kartoffeln mitgebracht. Wir haben sie aufgeschnitten und in Wasser eingelegt: eine ohne alles, eine gesalzen und eine gezuckert. Die Schüler sollen erklären, wieso die gesalzene Kartoffel so weich, die gezuckerte nicht ganz so weich und die ohne alles härter wurde. Die Osmose bringt das Wasser der Kartoffel dazu, dem Salz entgegenzustreben.
Ein Mädchen mit rotem Pferdeschwanz in Cheerleader-Uniform meldet sich. Die Cheerleader-Uniformen sind den normalen Schuluniformen nicht unähnlich: ein karierter Rock mit einem Sweater, auf dem St. Markâs steht, statt weiÃer Bluse mit Rock. »Können wir dieselbe Schale für alle drei benutzen?«
Ich bin die Arbeitsanweisungen längst durchgegangen, aber sie hat geträumt. Ich wende mich dem Rest der Klasse zu. »Jemand eine Ahnung?«
John, ein Junge im Schulsweatshirt, lässt seine Glasbecher aneinanderklirren. »Sag mal, Sarah, wie viele Becher stehen denn vor dir?«
Der Rest der Klasse kichert. Wäre sie eine Figur aus einem Comic, würde über ihrem Kopf eine riesige Glühbirne aufleuchten. »Ah! Jetzt weià ichâs!«
»Ich dachte, die Cheerleader an dieser Schule wären besonders schlau«, murmelt ein Junge und schüttelt seine schwarzen Locken.
»Hey, hier ist nur Platz für einen KlugscheiÃer.« Ich trommle mit den Fingern auf dem Tisch vor John herum.
Er grinst verschmitzt. »Sie?«
Ich nicke und lächle. »Sollte noch jemand Fragen haben, wird John euch liebend gern unter die Arme greifen. Ohne dumme Sprüche.«
Er schnaubt und zieht die Schultern ein, sagt aber nichts mehr.
SchlieÃlich kommen die Schüler zur Ruhe und widmen sich ernsthaft dem Versuch. Die Stunde dauert fünfzig Minuten, und fast vierzig sind noch übrig.
Ich sitze an meinem Arbeitstisch am hinteren Ende der Klasse, von wo ich alle gut im Blick habe, ohne dass sie mich sehen können. Obwohl ich mich am Wochenende ausgeruht habe, bin ich doch ganz schön erledigt und hoffe, nichts auszubrüten. Ganz vorn hustet jemand, und ich lausche aufmerksam. Klingt für mich wie trockener, allergischer Husten. Nach fast zwölf Jahren als Lehrerin kann ich den Unterschied inzwischen erkennen. Als mir auffällt, dass ich wegen möglicher Bazillen die Luft anhalte, gestatte ich mir ein gewaltiges Gähnen.
Auf dem Tisch steht meine Flasche mit dem halben Liter Wasser, der Hälfte meiner täglichen Ration. Patienten, die noch Urin produzieren, dürfen mehr trinken. Es ist nicht viel, aber besser als damals, als ich mit der Dialyse anfing und mir nur eine kleine Flasche Wasser erlaubt war.
Aufgrund des Flüssigkeitsmangels sieht meine Haut aus wie die einer Eidechse. Ein schlichter Handcremespender steht auf meinem Tisch. In einer abgeschlossenen Schublade liegen die Pillen, die ich regelmäÃig nehmen soll, und meine faden, dialysefreundlichen Zwischenmahlzeiten mit niedrigen Phosphor- und Kaliumwerten. Wenn man zu viel davon isst, kann man einen Herzinfarkt bekommen. Ich sollte meine eigene Diät auf den Markt bringen. Der Slogan wäre: »Schmeckt so schlimm, da purzeln die Pfunde.« Ich grinse.
Ich öffne meine Rosendatei auf dem Computer. Der Stammbaum meiner Rosen breitet sich vor mir aus. G42 müsste demnächst blühen. Ich hoffe, sie duftet. Ihre Eltern waren die öfter blühende Rose vom letzten Jahr und eine andere Ãfterblühende. Deren GroÃeltern duften. Bei
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