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Die Lieben meiner Mutter

Die Lieben meiner Mutter

Titel: Die Lieben meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schneider
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glaube ich daran. Im Überlebenskampf hingeschriebene Worte darf man so wenig auf die Waage legen wie gesprochene oder nur gelallte. Allerdings mag ihr diese Kinderschar manchmal als das größte Hindernis erschienen sein – als der Grund für das Nicht-zustande-Kommen einer Liebe, an die sie mit ganzem Herzen glauben wollte.
    Kaum hat sie die Klinik verlassen, muss die Muttermaschine wieder funktionieren. Irgendwie schafft sie es, mit ihrem Anhang nach Radebeul, in die Obhut derEltern ihrer Schwiegermutter, zu gelangen. Hier in Radebeul, meldet sie Heinrich, sei sie glücklich, hier möchte sie bleiben, denn hier sei es immer noch wie im Frieden, es gebe Gärtnereien, freundliche Nachbarn und Näharbeiten für sie . Nur das zwölfstündige Zusammensein auf engstem Raum mit der Schwiegermutter, die aus Oschatz gekommen ist, um ihr zur Hand zu gehen, fällt ihr schwer. Die beiden Frauen verstehen sich weder in der Küche noch in politischen Dingen – die liebe Mutter überlegt allen Ernstes, ob sie ihren letzten Goldschmuck dem Führer spenden soll.
    Nachts melden sich die nicht abgeschickten Briefe an den Geliebten in ihren Gedanken zurück und wollen fortgedacht, fortgeschrieben werden. Aber inzwischen hat sie nicht einmal mehr eine gültige Adresse von ihm, sie weiß nicht, wohin ihn der Krieg verschlagen hat. Tief beunruhigt fragt sie ihren Mann in Wien, ob er irgendwelche Nachrichten über Andreas habe.
    Eine Postkarte hellt ihre Stimmung auf. Andreas hat ihr aus einem Lazarettzug geschrieben, dass er nach Bad Wörishofen unterwegs ist. Tief erleichtert teilt sie ihrem Mann die frohe Botschaft mit: Andreas lebt, er ist immer noch in Deutschland und wird wegen seines Asthmas und eines wohlwollenden Attests seiner Ärzte wohl nicht an die Front geschickt. Sähe sie ihn jetzt wieder, so beruhigt sie Heinrich, würde sie sicher anders als früher auf ihn reagieren. Das Gequältwerden halte sie nicht mehr aus und werde es nicht mehr akzeptieren. Da ist zu viel Anderes zu schwer … Ach, schreibt sie ihremMann, ihr gehe es doch eigentlich nur gut bei ihm.
    Der Empfänger dieser Zeilen, der zu dieser Zeit in Wien stationiert ist, leidet ebenfalls unter Asthma, wird aber wenig später in Marsch gesetzt.
    Außer Heinrich ist ihre Freundin Linda die einzige Vertrauensperson, mit der sie ihre Nöte und Liebeswirren teilt. Die beiden Freundinnen kennen sich aus Königsberg – wie sie selber ist auch Linda unsterblich in Andreas verliebt. Linda beschreibt ihre Liebe zu Andreas in ihren Briefen mit ganz ähnlichen Worten wie die Mutter. Es ist, als hätten sich die beiden Freundinnen mit ihrer Leidenschaft und in der Art, sie auszudrücken, gegenseitig angesteckt. Nur Lindas neudeutsche Schrift bewahrt mich vor dem Eindruck, eine weitere Schwärmerei der Mutter in der Hand zu halten.
    Ihn zu lieben, so klingt die Arie bei Linda, meine Kräfte bis ins Tiefste und Letzte dieser Liebe zu weihen, sein Glück wichtiger zu nehmen als das meine und eigene Ansprüche hintanzustellen, dies hat sie sich und ihm geschworen. Gerade deswegen finde ihr, Lindas Herz, in dem ihrer Freundin tiefste Verwandtschaft, Halt und Bejahung . Was auch geschehe, sie würden für immer Schwestern bleiben, weil sie das gleiche Schicksal teilten; unmöglich, dass sie sich jemals auseinanderdividieren lassen würden.
    In den letzten Kriegsmonaten sehen sich die Freundinnen kaum, sind auf Briefe und auf fernmündliche Gesprächeangewiesen, falls es sich denn einmal trifft, dass sie beide gleichzeitig Zugang zu einem Telefon haben. Gemeinsam träumen sie von einem märchenhaften Projekt. Sie spekulieren über ein Exil in Frankreich. Linda unterhält eine lose Liebschaft zu einem französischen Professor, der angeblich ein Duzfreund von General de Gaulle ist. Der Professor lehrt an einer Universität in Südfrankreich, die über Besitzungen an der französischen Riviera verfügt. Linda ist entschlossen, mit dem Professor eine Vernunftehe einzugehen und ihre »Familie« an die Riviera nachzuholen, sobald sie französische Staatsbürgerin geworden ist. Also alle, die ihrem Herzen nahestehen: Andreas mit seiner Frau und die Mutter mit ihrem Mann und den vier Kindern. Über die Frage der Zustimmung des Professors und der beiden Ehegatten zu ihrem Projekt verlieren die Freundinnen kein Wort. Im Krieg, so muss man diese Auslassung wohl verstehen, haben kleinliche Gefühle wie Besitzansprüche und die Frage, wer von beiden am Ende mit Andreas leben wird, zu

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