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Die Lieben meiner Mutter

Die Lieben meiner Mutter

Titel: Die Lieben meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schneider
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schon die wichtigste Voraussetzung zu meiner Fähigkeit, dich zu beglücken.
    Andreas hat ihr geduldig zugehört, er ist – trotz seines chronischen Zeitmangels – immer ein guter Zuhörer gewesen. Aber als sie ausgeredet hat und sich ihm zuwendet und das eine, das wichtigste Versprechen, das über ihren Treffen steht, wahrmachen möchte, bleibt er kalt und klein. Später wird sie ihm in aller Freundschaft schreiben, es sei ihr nicht entgangen, dass er beim langen Warten auf sie offenbar Hand an sichgelegt und seine aufgestapelte Sehnsucht schon verströmt hatte. Sei mir nicht böse, daß ich alles sage.
    Aber mehr als das verpatzte Glück beschäftigt sie der traurige Abschied von Andreas. Wie sie dann durch die fremden, nassen Straßen zum Bahnhof liefen, vorbei an Passanten, die in ihrem eigenen Panzer gefangen waren und gleichgültig, ohne ihnen einen Blick zu gönnen, an ihnen vorübergingen. Ja, es ist wahr, sie hat auf dem ganzen Weg kaum ein Wort herausgebracht. So überwältigt war sie von der Nähe seines Atems, dass ihr alles Reden überflüssig erschien.
    Mit zerreißender Deutlichkeit hat sie ihn gesehen, spürte sein Wachsen, sein Reifen und die große Aufgabe seines unausgesetzten Kampfes und auch seine Anmut. Wie sollten zwei Stunden genügen, ihm die Last seiner Aufgabe abzunehmen; kaum ein ganzes Leben würde dazu ausreichen!
    Eine lange Weile hatten sie wortlos vor dem Bahnhof gestanden, es gab so wenig Gutes, was sie sich hätten sagen können, aber sind Empfindungen nicht unendlich wichtiger als Worte?
    In solchen Momenten, schreibt sie ihm, fürchte sie immer, dass er sich durch ihre totale, bedingungslose Liebeskraft beengt fühle und meine, dass sie von ihm etwas Ähnliches erwarte. Ganz falsch! Denn sie sucht ja keine Antwort, die nicht aus seinem Herzen kommt – keine Reaktion von ihm, wie ihre Natur sie geben würde. Sie weiß und nimmt es als gegeben hin, dass die Kräfte in diesem Liebesspiel ungleich verteilt sind. Andreasnimmt sie, wann und wie es ihm gefällt, er unterwirft sie seinem Willen, seiner Zärtlichkeit und seiner Gier, er tobt sich aus bei ihr, und wenn er sich verströmt hat, drängt er zum Aufbruch und lässt dann Wochen und Monate lang nichts von sich hören. Er ist beides: ein zärtlicher, ein rücksichtsvoller Liebhaber und auch ein Triebmensch, der sich für seinen Egoismus nicht entschuldigt. Aber sie kennt sein schwankendes, in Gefühlsdingen pubertäres Wesen, sie weiß um die Mauer, mit der er sich gegen die starken Emotionen schützt, die er auslöst. Und sie erträgt diese Schmerzen – ja, es sind gerade diese Schmerzen, sagt sie, die ihre tiefste, erst durch ihn erweckte Liebesfähigkeit wachrufen. Seine Schwächen, seine Schwankungen, seine Unfähigkeit, sich mitzuteilen, rühren ihr Herz mehr als der Glanz, der um ihn ist. Hier ist der Punkt, an dem sie immer wieder von einem so starken, so schicksalhaften Zugehörigkeitsgefühl zu ihm ergriffen wird, dass alle Dämme reißen. Denn darin ist sie sich ganz sicher: Der Panzer, mit dem er seine eigenen Gefühle abwehrt, kann nur durchbrochen werden durch ein klares, festes Gefühl von Beheimatetsein in einer anderen liebenden Seele. Und in Wahrheit sehnt er sich doch nach einer solchen Heimat! Hinter dem Mangel an Realität zwischen Andreas und ihr, glaubt sie, stehe eine andere, eine wirklichere Daseinsform, deren Möglichkeiten unerschöpflich sind, weil diese Form der Liebe sehr viel größere Widerstände zu überwinden hat.
    Obsie diese Zeilen abgeschickt hat, bleibt fraglich. Immer wieder wirft sie in den Monaten des Umherirrens Anfänge auf ein Stück Papier, Gedanken, Empfindungen und Beschwörungen. Sie denkt an Andreas, sie spricht mit ihm, sie ist sicher, dass sie mit ihm allein durch die Kraft ihrer Gefühle in Verbindung treten kann. Spürst du all die warmen, heilenden schützenden Ströme und Gedanken an deinem wunden Herzen? Sie liegt selber im Krankenhaus, als sie diese Botschaft notiert. Den ganzen Tag – und die Tage vor diesem Tag – hat sie auf dem Bahnhof, im Zug, beim Koffer- und Kartoffelschleppen mit Andreas gesprochen.
    Es ist fast 14 Tage her, daß wir uns sahen – noch kein Wort von dir – ist das Vakuum so groß, die Entfernung von mir? Die nahe Verbindung zu dir ist das einzige, was mich hält. Muß ich nun wieder wohin – vielleicht Monde lang verlassen sein von dir – um dieser Kinderschar willen?
    Hätte sie uns wirklich verlassen – Andreas zuliebe? Keine Sekunde

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