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Die lieben Patienten!

Die lieben Patienten!

Titel: Die lieben Patienten! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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Heiligen und Edelmanns, ich senkte bescheiden meine Augen, »»vererbe ich die Summe von fünfundzwanzigtausend Pfund...«<
    Ich ergriff Sylvias Hand, von dem Rest hörten wir nichts mehr. Vor dem Hintergrund von Mr. Baileys trockener Stimme legten wir bereits eifrig die Aubusson-Teppiche aus.
    Fünfundzwanzigtausend Pfund! So hatte das gute alte Mädchen es wirklich ernst gemeint...!
    Mr. Bailey faltete das Testament zusammen und steckte es in einen großen Umschlag zurück.
    Dann blickte er uns an. »Ich hoffe, Sie verstehen, Doktor, daß ich Sie nur deshalb gebeten habe, heute hierherzukommen, weil es meine Pflicht als Testamentsvollstrecker meiner guten Freundin, der verstorbenen Miss Amelia Agnes Lettice Chudley, war, Sie von ihren Wünschen, wie sie in ihrem Letzten Willen und Testament niedergeschrieben und von ihr und den Zeugen richtig unterzeichnet sind, zu unterrichten.«
    »Natürlich«, bestätigte ich, »ich verstehe.«
    Mr. Bailey nahm seine Brille ganz ab. Ohne sie sah er noch immer wie ein Vogel aus, aber jetzt schien ihm etwas zu fehlen.
    »Doktor«, begann er noch einmal und beugte sich vor. »Ich glaube nicht, daß Sie verstehen.«
    »Warum nicht?« fragte ich, langsam die Geduld mit dem mühsamen alten Mann verlierend und mich danach sehnend, mit Sylvia allein zu sein, um unsere schöne Zukunft zu besprechen.
    »Weil«, sagte er, jedes Wort betonend, »kein Vermögen zum Vererben da ist.«
    Ich begriff nicht.
    »In ihrem Testament«, fuhr Mr. Bailey fort, »hat die verstorbene Miss Chudley, in Würdigung Ihrer Dienste und der ihr erwiesenen Freundlichkeiten, Ihnen die Summe von fünfundzwanzigtausend Pfund vermacht. Die anderen Testamentsvollstrecker und ich haben die Angelegenheit sehr sorgfältig durchgearbeitet, und es scheint jetzt so, als ob die gute Lady, als sie Ihnen fünfundzwanzigtausend Pfund vermachte, nicht einmal fünfundzwanzig Pfennig besaß. Ihre Schulden waren phänomenal. Außerordentlich phänomenal!«
    »Aber was ist denn mit dem Schloß in Schottland, den Besitzungen in London, dem Dorf in Cornwall?« fragte ich.
    Mr. Bailey setzte seine Brille wieder auf, beugte sich über den Tisch vor und blickte mich an, als sei ich ein kleines Kind.
    »Doktor«, begann er, und ich betrachtete fasziniert seinen über dem Vatermörder erscheinenden Adamsapfel, »haben Sie noch niemals Größenwahn kennengelernt?«
    Natürlich hätte ich das vermuten müssen; Miss Chudleys Benehmen, die uralte Einrichtung, auf deren Erhaltung sie bestand, die gelegentlichen Anspielungen auf ihr Vermögen... das alles war eine große Komödie gewesen.
    Wir stiegen die staubigen Stufen langsamer hinab, als wir hinaufgeeilt waren. Auf der Heimfahrt sprach keiner von uns, jeder war mit den dahinschwindenden Visionen eines großen Hauses, eingemachter Pflaumen und quiekender Ferkel beschäftigt.
    Zu Hause fanden wir Faraday im Kaminzimmer, wie er mürrisch den Zwillingen beim Spielen zusah. Sylvia ging, um Tee zu brauen.
    »Was ist los mit dir?« fragte ich Faraday, weil es ungewöhnlich war, ihn hier an einem Wochentagnachmittag vorzufinden. »Haben sie dich ’rausgeschmissen?«
    »Laß den Blödsinn«, knurrte Faraday mit tragischer Stimme. »Ich bin krank.«
    Ich war nicht in der Stimmung, ihm den bärtigen alten Witz
    »Warum gehst du nicht zum Arzt?« entgegenzuschleudern. Und übrigens sah er auch wirklich nicht gut aus.
    »Wo fehlt’s denn?«
    Faraday kratzte sich am Kopf. »Ich weiß nicht. Die Symptome passen zu keiner Krankheit, von der ich je gehört habe. Deshalb dachte ich, ich müßte mal eben herüberkommen.«
    »Wie äußert es sich denn?«
    »Appetitlosigkeit - mir schmeckt überhaupt nichts mehr - Gewichtsverlust, Schlaflosigkeit - ich drehe und wälze mich die ganze Nacht herum - Mangel an Konzentration, Müdigkeit in allen Gliedern - ich lasse alles fallen, was ich anfasse -, Gleichgültigkeit, Gedächtnisschwund... Ich bekomme es langsam mit der Angst, weil ich einfach nicht mehr richtig arbeiten kann.«
    »Wie lange äußert sich das schon?«
    Faraday dachte nach. »Etwa zwei Wochen.«
    Ich rechnete nach. »Dann begann es also gleich nach dem Wochenende, das du bei uns verbrachtest.«
    »Ja. Ja, ich glaube, das stimmt. Du glaubst doch nicht, daß es irgend etwas Ernstliches ist?«
    »Doch, ziemlich«, sagte ich.
    Er blickte mich erschrocken an. »Doch nicht etwa eine beginnende allgemeine Sklerose oder Tb?«
    »Nein«, wehrte ich ab, »etwas Derartiges nicht.«
    »Was denn?«
    »Nun, es

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