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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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sie, während sie begann, das Bett zu beziehen, »soll er sich in die Mitte zwischen uns legen?« Sie lachte leise. »Das wäre doch gut für Tania. Sie würde zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Mann schlafen.« Erheitert zwickte Dascha Alexander in den Arm und fügte hinzu: »Allerdings sollte sie besser die Finger von dir lassen, Liebling.« Alexander vermied es, Tatiana anzusehen, und murmelte, er würde sich in der Mitte nicht wohl fühlen, und Tatiana gab ihm Recht. Dascha erwiderte: »Entspann dich, du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass ich dich neben meiner Schwester liegen lassen würde?«
    Als es Zeit zum Schlafengehen war, drückte sich Tatiana an die Wand, Dascha legte sich neben sie und Alexander kletterte als Letzter ins Bett. Niemand konnte sich mehr bewegen, aber es war wärmer, und dass er nur einen Herzschlag von ihr entfernt lag, versöhnte Tatiana mit der Situation. Still lag sie im Bett und lauschte auf Mamas Schluchzen.
    Plötzlich hörte sie Dascha flüstern: »Alexander, du hast doch gesagt, wir wollten heiraten. Wann, Geliebter, wann?« Er flüsterte zurück: »Lass uns noch warten, Dascha.« »Nein!«, erwiderte sie. »Auf was denn? Du hast gesagt, wir würden heiraten, wenn du Urlaub bekommst. Lass es uns morgen tun. Wir gehen zum Standesamt und sind innerhalb von zehn Minuten verheiratet. Tania und Marina können unsere Trauzeugen sein. Komm schon, Alexander, worauf sollen wir denn warten?«
    Tatiana drehte sich zur Wand.
    »Dascha, hör mir zu. Ringsum toben gerade heftige Kämpfe. Und - hast du nicht gehört? Genosse Stalin hat es zum Kriegsverbrechen erklärt, wenn man sich gefangen nehmen lässt. Und er geht sogar noch weiter: Damit man sich nicht absichtlich vön den Deutschen gefangen nehmen lässt, hat unser großer Führer beschlossen, dass in einem solchen Fall der ganzen Familie die Lebensmittelrationen entzogen werden. Wenn wir also verheiratet sind und die Nazis mich schnappen, verlierst du deine Rationen. Und auch Tania, deine Mutter, deine Großmutter. Ihr alle. Damit ihr weiterhin zu essen hättet, müsste ich mich schon töten lassen.« »Oh, Alexander! Oh nein.« »Also warten wir noch.« »Worauf?« »Auf bessere Zeiten.«
    »Werden jemals wieder bessere Zeiten kommen? « »Ja.«
    Dann schwiegen sie.
    Tatiana drehte sich um und blickte über Dascha hinweg auf Alexanders Hinterkopf. Sie dachte daran, wie sie in Luga nackt und verletzt in seinen Armen gelegen und seinen Atem in ihrem Haar gespürt hatte.
    Mitten in der Nacht musste Dascha zur Toilette. Tatiana dachte, Alexander schliefe, aber er drehte sich um und blickte sie an. Sie konnte seine Augen im Dunkeln sehen. Unter der Decke schob er sein Bein an ihres; sie trug Socken und zwei Flanell-Schlafanzüge übereinander. Als sie Dascha draußen im Flur hörte, schloss sie die Augen wieder und Alexander zog sein Bein weg.
    Am nächsten Abend bereitete Tatiana nur eine halbe Dose Schinken für sie alle zu. Es war für jeden nicht mehr als ein Teelöffel voll, aber zumindest war es Schinken. Dascha murrte, es sei nicht genug.
    »Anton stirbt«, sagte Tatiana. »Also beschwere du dich nicht über zu wenig Schinken. Nina Iglenko hatte seit August keinen Schinken mehr.«
    Nach dem Essen ging Mama regelmäßig an ihre Nähmaschine. Seit Anfang September brachte sie sich Arbeit mit nach Hause. Die Armee brauchte Winteruniformen und die Fabrik bot Mama eine Prämie an, wenn sie pro Tag zwanzig Uniformen statt zehn fertig bekam. Eine Prämie von ein paar Rubeln und eine zusätzliche Ration. Mama arbeitete bis ein Uhr morgens für dreihundert Gramm Brot und ein wenig Geld. An diesem Abend holte sie den Stoff hervor, blickte sich um und fragte dann erstaunt: »Wo ist denn meine Nähmaschine?« Niemand sagte etwas.
    »Wo ist meine Nähmaschine? Tania, antworte mir!« »Ich weiß nicht, Mama«, sagte Tania.
    Babuschka humpelte herbei und sagte: »Irina, ich habe sie verkauft. «
    »Was?«
    »Ich habe sie gegen die Sojabohnen und das Öl, das du heute Abend gegessen hast, eingetauscht. Es hat so gut geschmeckt, Ira.«
    »Mama!«, schrie Tatianas Mutter. Sie wurde hysterisch. Minutenlang schluchzte sie haltlos vor sich hin. Tatiana stand hilflos dabei und Alexander verschwand mit gequältem Gesichtsausdruck im Flur.
    »Mama, wie konntest du das nur tun?«, weinte Tatianas Mutter. »Du weißt doch, dass ich mich halb umbringe, um noch etwas für meine Familie zu tun. Sie haben mir gesagt, ich könnte jeden Tag Hafer bekommen,

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