Die Liebenden von Leningrad
nicht mehr eifersüchtig verfolgt und du hättest vielleicht meiner Schwester keinen Heiratsantrag machen müssen.« Bekümmert sagte Alexander: »Oh, Tatia ...« »Aber so wie die Dinge stehen«, unterbrach sie ihn mit lauter Stimme, »bist du jetzt Hauptmann und er ist in Tikhvin. Jetzt musst du Dascha heiraten, nicht wahr?« Sie sah ihn unverwandt an.
Alexander rieb sich mit seinen schmutzigen Händen über die Augen. So ungewaschen hatte Tatiana ihn noch nie gesehen. Und sie hatte keine Rücksicht auf ihn genommen, weil sie nur ihre eigenen Dinge im Kopf hatte. »Oh, Shura,« sagte Tatiana, »es tut mir Leid. Komm mit nach Hause und wasch dich. Ich mache dir Wasser heiß und du kannst baden. Und ich koche dir eine schöne Hafergrütze. Komm.« Am liebsten hätte sie Liebling gesagt, aber das wagte sie nicht.
Alexander rührte sich nicht. »Bitte, komm, Shura.«
»Warte.« Er biss sich auf die Lippe. »Bist du böse auf mich wegen deinem Vater?«
»Nein, Shura«, entgegnete Tatiana liebevoll. »Niemand ist böse auf dich. Sie werden alle überglücklich sein, dass du am Leben bist.«
Alexander blickte sie an. »Ich habe nicht nach den anderen gefragt. Bist du böse mit mir?«
Tatiana sah ihn voller Mitgefühl an. Unter seiner Rüstung brauchte der Mann, der ein ganzes Bataillon befehligte, ausgerechnet sie. Wenn er verwundet war, konnte sie ihn verbinden. Wenn er hungrig war, konnte sie ihm zu essen geben. Wenn er reden wollte, war sie da. Und jetzt war ihr Alexander traurig.
»Nein, Shura«, sagte sie zärtlich, »natürlich bin ich nicht böse auf dich.«
»Ich will doch nur, dass du in Sicherheit bist«, sagte er. »Dass du sicher vor allem bist.«
Tatiana warf sich in seine Arme. »Ich weiß! Und ich werde es schon schaffen«, sagte sie, den Kopf an seine Jacke gepresst. Alexander schob ihr die Haare aus der Stirn, drückte seine Lippen auf die Beule und flüsterte: »Weiche nie mehr vor mir zurück so wie eben, wenn ich dich berühren will.« »Nein«, murmelte Tatiana, schloss die Augen und drückte ihn fest an sich.
»Seht mal, wen ich gefunden habe!«, rief Tatiana fröhlich aus, während Alexander hinter ihr durch die Tür trat. Kreischend rannte Dascha zu ihm.
Tatiana setzte Wasser auf. Sie holte Seife, frische Handtücher und einen Rasierapparat für ihn und Alexander nahm ein Bad. »Ist es warm genug?«, rief sie aus der Küche und setzte noch mehr Wasser auf.
Seine lachende Stimme drang aus dem Badezimmer. »Nein, keineswegs. Komm, bring mir noch mehr heißes Wasser.« Errötend trug Tatiana Dascha lächelnd auf, ihm noch eine Kanne heißes Wasser zu bringen.
Als er erhitzt und sauber aus dem Bad kam, mit feuchten, glänzenden Haaren und strahlend weißen Zähnen, wäre Tatiana ihm am liebsten an den Hals geflogen. Er setzte sich in seiner langen Unterhose und dem Unterhemd an den Tisch und Dascha ging hinaus, um seine Uniform zu waschen. Marina, Babuschka und Tatiana gluckten um ihn herum. Nur Mama hielt sich mürrisch abseits.
Tatiana sagte Mama nicht, dass sie Eier hatte - nicht, solange Mama Alexander nicht verzieh, dass er sie und Papa angeschrien hatte. Zuerst musste sie ihm verzeihen. Alexander hatte ihnen ein Kilo Butter mitgebracht. Tatiana versteckte es unter dem Mehlsack auf der Fensterbank. Mama trank eine Tasse dünnen Tee und aß Brot mit Butter. Danach bedankte sie sich missmutig bei Alexander und ging zur Arbeit. Babuschka steckte ein paar silberne Kerzenleuchter, etwas Geld und ein paar alte Decken in einen Sack und machte sich auch zum Gehen bereit.
Tatiana wollte eigentlich Alexanders Frühstück zubereiten, aber sie blieb im Zimmer sitzen und blickte Alexander unverwandt an.
»Wohin geht Babuschka?«, wollte er wissen. »Oh, nach Malaja Ochta«, erwiderte Dascha, die gerade ins Zimmer kam. Tatiana schlug rasch die Augen nieder. »Sie hat Freunde dort«, fuhr Dascha fort, »und sie tauscht unsere Sachen gegen Kartoffeln oder Karotten ein. Sie war früher immer gut zu ihnen, und jetzt sind sie gut zu ihr. Es dauert noch eine Weile, bis deine Kleider trocken sind«, sagte sie lächelnd zu Alexander.
»Das ist schon in Ordnung«, erwiderte er, ebenfalls lächelnd. »Ich muss erst in vier Tagen wieder in der Kaserne sein. Bis dahin sind sie wohl trocken,«
Tatianas Herzschlag setzte vor Freude aus. Vier Tage mit Alexander!
»Tania, machst du uns Frühstück?«, fragte Dascha und ging noch einmal ins Bad. Marina war im anderen Zimmer und packte ihre Sachen für die
Weitere Kostenlose Bücher