Die Liebenden von Leningrad
enger um sich und erwiderte: »Marina und ich gehen immer noch ...«
»Tania, wann warst du zum letzten Mal im Keller?«, unterbrach Alexander sie.
Tatiana zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, letzte Woche«, erwiderte sie. »Ich habe neben einer Frau gesessen, die nicht mit mir redete. Dreimal habe ich versucht, ein Gespräch anzufangen, bis ich merkte, dass sie tot war. Und zwar schon länger. « Tatiana zog die Augenbrauen hoch. »Tania, sag die Wahrheit«, warf Dascha ein. »Du warst vielleicht fünf Sekunden lang da unten und an dem Abend hat die Bombardierung mindestens drei Stunden gedauert. Und wann warst du vorher das letzte Mal da?«
»Im September«, erklärte Mama beiläufig. Sie stand auf und ging zu ihrer Näharbeit.
»Mama, du hast gut reden!«, rief Dascha aus, »du bist ja auch schon seit September nicht mehr im Keller gewesen.«
»Ich muss arbeiten. Schließlich versuche ich, noch ein bisschen Geld dazuzuverdienen. Das solltest du auch tun.«
»Das tue ich doch, Mama! Ich nehme eben mein Nähzeug mit in den Luftschutzraum.«
»Ja, ich habe gesehen, was du mit einer Uniform gemacht hast - du hast den Ärmel falsch herum angenäht. Im Dunkeln kann man eben nicht nähen, Dascha.«
Während sie sich stritten, blickten Tatiana und Alexander sich unverwandt an.
Schließlich sagte er: »Tania, du hast schon den ganzen Abend deine Handschuhe an. Warum? Es ist doch warm hier im Zimmer. Komm vom Fenster weg, da ist es zu kalt. Setz dich hier zu uns.«
»Oh, Alexander!«, rief Marina aus und legte ihm den Arm um die Schultern. »Du glaubst es nicht, was deine Taneschka letzte Woche gemacht hat.«
»Was hat sie denn gemacht?«, fragte er und drehte sich zu Marina um.
Dascha warf ein: »Deine Taneschka? Aber Alexander, du wirst es wirklich nicht glauben!«
»leb will es erzählen«, nörgelte Marina.
»Mir ist egal, wer es erzählt«, erwiderte Alexander.
Tatiana stöhnte. »Muss ich unbedingt dabei sein?«, fragte sie, trat zum Tisch und räumte die Tassen zusammen. »Vielleicht konnte ja Alexander noch ein bisschen Holz nachlegen?«
Sofort stand er auf. »Ich kann Holz nachlegen und trotzdem zuhören«, sagte er.
Dascha erzählte: »Letzten Samstag waren Marinka und ich in der öffentlichen Kantine. Wir hatten Tania hier gelassen und dachten, sie würde friedlich schlafen, bis wir zurückkommen. Aber auf der Straße rannte uns schon Kostja aus dem zweiten Stock entgegen und schrie: > Beeilt euch, eure Schwester steht in Flammen! Eure Schwester steht in Flammen!<« Alexander setzte sich wieder an den Tisch. Er sah Tatiana immer noch an, aber sein Blick war deutlich kühler geworden. »Tania, erzähl Alexander die Geschichte ruhig selbst zu Ende«, sagte Dascha. »Aus deinem Mund klingt sie garantiert interessanter. Nun erzähl schon!«
Tatiana, die mit dem Geschirr an der Tür stand, entgegnete: »Es ist nichts Besonderes passiert.«
»Warum erzählst du es mir dann nicht?«, fragte Alexander und sah sie eindringlich an.
Tatiana wandte sich verteidigend an Marina. »Kostja ist schließlich noch zu klein, um allein auf dem Dach zu sein. Ich habe ihm nur geholfen. Eine kleine Brandbombe ist explodiert und er konnte das Feuer nicht allein löschen. Ich habe ihm nur geholfen.«
»Du warst oben auf dem Dach?«, fragte Alexander ruhig. »Nur eine Stunde«, erwiderte sie und rang sich ein schwaches Lächeln ab. »Es war wirklich nichts. Nur ein kleines Feuer. Ich habe es mit Sand gelöscht, es hat nur fünf Minuten gedauert. Kostja wurde ein bisschen hysterisch.« Sie funkelte Marina wütend an. »Und er ist nicht der Einzige.« »Also wirklich, Tania!«, rief Dascha aus. »Sieh Marina nicht so böse an. Hysterisch? Zieh doch deine Handschuhe aus und zeig Alexander deine Hände.« Alexander schwieg.
Tatiana wandte sich zur Tür. »Die will er bestimmt nicht sehen.«
»Wisst ihr was?« Alexander stand auf. »Ich will überhaupt nichts sehen. Ich gehe. Ich bin sowieso schon zu spät.«
Er ergriff sein Gewehr, seinen Mantel und seinen Rucksack und trat aus der Tür, ohne Tatiana auch nur einmal zu streifen.
Als er gegangen war, blickte Dascha sich ratlos um. »Was hatte er denn?«, fragte sie müde.
Einen Moment lang sagte niemand etwas.
Dann ertönte Babuschkas Stimme vom Sofa. »Sehr, sehr viel Angst.«
»Marinka«, sagte Tatiana, »warum hast du das getan? Du weißt doch, dass er sich immer solche Sorgen um uns alle macht. Warum erzählst du ihm diesen Unsinn? Die Geschichte mit dem Dach
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