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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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Alexander auf seine Uhr blickte und jedem ein wenig Wodka einschenkte. Kurz vor zwölf standen sie auf und erhoben ihre Gläser auf das Jahr Sie zählten die letzten Sekunden herunter, und dann stießen sie an und tranken auf das neue Jahr. Alexander küsste und umarmte Dascha, und Dascha küsste und umarmte Tatiana und sagte: »Na los, Tania, hab keine Angst, gib Alexander auch einen Kuss.« Dann setzte sie sich wieder auf das Sofa, während Tatiana ihr Gesicht Alexander entgegenhob. Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie ganz vorsichtig und sehr sanft auf den Mund. Zum ersten Mal seit ihrem Treffen in der Isaakskathedrale hatten seine Lippen wieder die ihren berührt. »Ein frohes neues Jahr, Tania.« »Dir auch ein frohes neues Jahr, Alexander.« Dascha saß mit geschlossenen Augen da, ihr Wodkaglas in der einen, die Zigarette in der anderen Hand. »Prost auf 1942«, sagte sie.
    »Prost auf 1942«, wiederholten auch Alexander und Tatiana. Sie warfen sich noch einen letzten Blick zu, bevor sie sich wieder neben Dascha setzten.
    Später lagen sie alle zusammen im Bett. Tatiana drehte sich zu Dascha und Alexander um. Kann man überhaupt noch etwas verbergen?, dachte sie.
    Am Tag nach Neujahr gingen Alexander und Tatiana langsam zur Post. Tatiana sah immer noch jede Woche nach, ob Babuschka geschrieben hatte, und sie schrieb ihr regelmäßig. Seit Deda tot war, hatten sie erst einen Brief von Babuschka bekommen, in dem sie ihnen mitteilte, dass sie von Molotow in ein Fischerdorf umgezogen war.
    Tatianas Briefe waren kurz, sie kam über eine Seite nie hinaus. Sie erzählte Babuschka vom Krankenhaus, von Vera, von Nina Iglenko und ein bisschen über den verrückten Slawin, der vor seinem unerklärlichen Verschwinden die Tage wie immer halb auf dem Flur liegend verbracht hatte, ohne sich um die Bomben oder die Kälte zu kümmern. Über Slawin konnte Tatiana schreiben. Über sich selbst oder die Familie nicht. Das überließ sie Dascha, der es immer gelang, noch ein paar fröhliche Sätze hinzuzufügen. Tatiana wusste nicht, wie sie die schrecklichen Wintermonate in Leningrad umschreiben sollte, aber Dascha fiel es nicht schwer, von Alexander und ihren Heiratsplänen zu berichten.
    Der Brief, den Tatiana heute bei sich trug, enthielt allerdings keinen Zusatz von Dascha. Sie war zu müde gewesen, um etwas zu schreiben.
    Langsam bahnten sich Alexander und Tatiana einen Weg durch den Schnee und die beißende Kälte. Tatiana hielt sich an Alexanders Arm fest und dachte über ihren nächsten Brief nach. Vielleicht würde sie darin endlich erwähnen, dass Mama, Marina, Tante Rita und Babuschka Maya tot waren. Die Post befand sich im ersten Stock eines alten Gebäudes am Newskij. Früher einmal war sie im Parterre gewesen, aber die Fenster waren bei einer Bombenexplosion zerplatzt und konnten nicht repariert werden. Also zog die Post nach oben um. Allerdings gelangte man jetzt nur noch unter Schwierigkeiten dorthin, weil die Treppe vereist und voller Leichen war. Am Fuß der Treppe sagte Alexander: »Es ist schon spät. Ich muss gehen. Um zwölf muss ich in der Kaserne sein.« »Es sind doch noch ein paar Stunden bis Mittag«, erwiderte Tatiana.
    »Nein, es ist schon elf. Wir haben anderthalb Stunden bis hierher gebraucht.«
    Tatiana fror noch mehr. »Oh, Shura, sieh zu, dass dir nichts passiert«, murmelte sie.
    Alexander zog ihren Schal zurecht und sagte: »Geh nicht mehr in die Geschäfte, geh direkt nach Hause zurück. Ich habe dir ja meine Ration schon dagelassen und mein Geld haben wir auch schon ausgegeben.« »Ach ...« »Bitte!«
    »Gut«, gab Tatiana nach. »Kommst du heute Abend?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich muss heute Abend wieder fort.
    Mein Artilleriegeschütz ...«
    »Sprich es nicht aus.«
    »Sobald ich kann, komme ich zurück.«
    »Versprichst du es?«
    »Tatia, ich will versuchen, dich und Dascha auf einem der Lastwagen aus Leningrad rauszubringen. Halt durch, bis ich wiederkomme, in Ordnung?«
    Sie sahen einander an. Sie hätte ihm gern gesagt, wie dankbar sie dafür war, ihm ins Gesicht blicken zu können, aber sie hatte nicht die Kraft dazu. Nickend wandte sie sich zur Treppe um. Auf der zweiten Stufe rutschte sie aus und taumelte nach hinten. Alexander fing sie auf. Sie hielt sich am Geländer fest und drehte sich zu ihm um. So etwas wie ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Ich komme wirklich ohne dich zurecht«, sagte sie. »Ich schaffe es schon.«
    »Und wenn dich auf dem Heimweg wieder

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