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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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zurückfahren.«
    Tatiana versuchte, Dascha hochzuzerren. »Komm, Dascha, steh auf!«
    »Hilf den anderen, Tatiana«, erwiderte Dascha. »Ich kann mich nicht rühren.«
    Tatiana zog Dascha auf alle viere. »Kriech zur Klappe, dann helfe ich dir hinunter.«
    »Kannst du meinem Mann auch helfen?«, fragte Nadeschda in klagendem Tonfall. »Hilf ihm bitte. Du bist so stark. Du siehst doch, dass er krank ist.«
    Tatiana schüttelte den Kopf. »Er ist zu groß für mich.« »Ach, komm, du kannst dich doch noch bewegen! Hilf uns doch! Sei nicht so egoistisch.«
    »Warten Sie«, sagte Tatiana. »Ich helfe zuerst meiner Schwester vom Wagen und dann helfe ich Ihnen.« »Lassen Sie sie in Ruhe«, sagte Dascha zu Nadeschda. » Ihr Mann ist tot. Lassen Sie meine arme Schwester in Ruhe.« Nadeschda kreischte auf.
    Dascha robbte wie ein Soldat zur Kante der Ladefläche und ließ sich mit den Füßen zuerst hinuntergleiten. Tatiana konnte sie nicht festhalten, und sie plumpste in den Schnee. Dort blieb sie liegen.
    »Dascha, steh auf. Ich kann dich nicht hochziehen«, flehte Tatiana.
    Der Fahrer des Lastwagens kam um die Ecke und hob Dascha hoch. »Stehen Sie auf, Genossin, und gehen Sie zu dem Armeezelt. Dort bekommen Sie etwas zu essen und heißen Tee. Jetzt gehen Sie schon.«
    Aus dem Lastwagen schrie Nadeschda: »Vergesst mich nicht hier drinnen!«
    Tatiana wollte nicht miterleben, wenn Nadeschda entdeckte, dass ihr Mann und ihr Kind tot waren. Sie wandte sich an Dascha und sagte: »Stütz dich auf mich. Sieh mal, wir sind in Kobona.« »Ich kann nicht.«
    »Denk an die Wut, die du auf mich verspürst, das wird deine Kräfte mobilisieren.«
    »Für dich ist es leicht, was?«, sagte Dascha mühsam. »Du willst einfach nur leben, sonst nichts.« »Und du? Willst du etwa nicht leben?« Dascha antwortete nicht.
    »Komm«, sagte Tatiana. »Du schaffst es. Hier hilft uns niemand. Wir sind allein, Dascha! Die Soldaten haben zu tun, und die anderen sind mit sich selbst beschäftigt. Und du willst doch leben! Im Sommer kommt Alexander nach Molotow, und ihr werdet heiraten!«
    Dascha lachte leise. »Tania, du gibst wohl nie auf, was?« »Niemals«, erwiderte Tatiana.
    Abermals fiel Dascha in den Schnee und stand nicht mehr auf. Als Tatiana sich verzweifelt umblickte, fiel ihr Blick auf Nadeschda, die schon den Hügel hinaufschwankte, ohne Kind, ohne Mann. Tatiana lief ihr nach. »Nadeschda, bitte helfen Sie mir. Dascha ist in den Schnee gefallen.«
    Nadeschda riss sich los. »Hau ab! Siehst du nicht, dass niemand mehr bei mir ist?« »Bitte, helfen Sie mir.« »Du hast mir ja auch nicht geholfen. Und jetzt sind alle tot. Lass mich in Ruhe!« Nadeschda ging weiter. Plötzlich hörte Tatiana eine vertraute Stimme. »Tatiana! Tatiana Metanowa?« Als sie sich umdrehte, sah sie Dimitri auf sich zuhumpeln. Er stützte sich auf sein Gewehr. »Dimitri!« Sie lief zu ihm, und er umarmte sie. »Hilf mir, Dima, bitte! Meine Schwester ist hingefallen.« Dimitri trat zu Dascha. »Hör zu«, sagte er. »Ich bin immer noch verwundet und kann sie nicht tragen. Ich hole einen Soldaten.« Er wandte sich an Tatiana und umarmte sie noch einmal. »Ich kann es gar nicht fassen, dass wir uns hier begegnen! Das muss Schicksal sein«, sagte er lächelnd. Dimitri holte jemanden, der Dascha zum Lazarettzelt tragen konnte, und Tatiana trottete im fahlen Morgenlicht hinter ihnen her.
    Dascha wurde von einem Arzt untersucht. Er hörte ihr Herz und ihre Lunge ab, fühlte ihren Puls, sah ihr in den Mund und sagte dann kopfschüttelnd: »Galoppierende Schwindsucht. Nichts zu machen.«
    Tatiana trat auf den Arzt zu. »Was soll das denn heißen? Geben Sie ihr Sulfonamide ...«
    Der Arzt lachte. »Ihr seid doch alle gleich. Glaubst du, ich gebe mein kostbares Sulfonamid einer Sterbenden? Bist du verrückt? Sieh sie doch an! Sie lebt keine Stunde mehr. Ich würde noch nicht einmal mehr ein Stück Brot für sie verschwenden. Hast du nicht gesehen, wie viel Schleim sie aushustet? Hast du gehört, wie sie atmet? Die Tuberkulosebazillen sind bestimmt schon bis in ihre Leber gedrungen. Hol dir im Nebenzelt etwas Suppe und Hafergrütze. Du könntest es vielleicht schaffen, wenn du etwas isst.«
    Tatiana sah den Arzt an. »Bin ich denn etwa gesund?«, fragte sie mit schwacher Stimme. »Können Sie mir bitte auch die Lunge abhorchen? Ich fühle mich nicht gesund.« Der Arzt knöpfte Tatianas Mantel auf und drückte das Stethoskop auf ihre Brust. Dann drehte er sie um und horchte

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