Die Liebenden von Leningrad
ihren Rücken ab. »Du brauchst selbst Sulfonamide, Mädchen. Du hast eine Lungenentzündung. Die Schwester soll sich um dich kümmern. Olga!« Bevor er ging, wies er Tatiana streng an: »Geh nicht zu nahe an deine Schwester heran. Tuberkulose ist ansteckend.«
Tatiana legte sich auf den Boden, während Dascha in dem sauberen Bett lag.
Nach einer Weile wurde es ihr zu kalt und sie kroch neben ihre Schwester ins Bett. »Dascha«, flüsterte sie, »wenn ich früher Alpträume hatte, habe ich mich auch immer neben dich ins Bett gekuschelt.«
»Ich weiß, Tania«, flüsterte Dascha. »Du warst so ein süßes Kind.« Ihr Atem rasselte, und sie wisperte: »Ich bekomme keine Luft...«
Tatiana kniete sich hin und blies ihren eigenen Atem in den Mund ihrer Schwester.
Doch gleich darauf trat die Krankenschwester zu ihnen und zog Tatiana weg. »Hör auf!«, sagte sie freundlich. »Hat der Arzt dir nicht gesagt, dass du dich von ihr fern halten sollst? Bist du die Kranke?«
»Ja«, flüsterte Tatiana und hielt Daschas kalte Hand fest. Die Krankenschwester gab Tatiana drei weiße Tabletten, etwas Wasser und ein Stück Schwarzbrot. »Es ist in Zuckerwasser getaucht«, sagte sie. »Danke«, keuchte Tatiana, Die Schwester legte ihr den Arm um die Schultern. »Willst du mitkommen? Ich versuche ein Bett für dich zu finden. Dann kannst du dich vor dem Frühstück noch ein bisschen hinlegen.«
Tatiana schüttelte den Kopf.
»Gib ihr nichts von dem Brot. Iss es selbst.«
»Sie braucht es dringender als ich«, erwiderte Tatiana.
»Nein, Liebes«, sagte die Schwester. »Nein.«
Als sie gegangen war, loste Tatiana die Sulfonamidtabletten im Wasser auf, nahm einen kleinen Schluck und flößte dann Dascha den Rest ein.
Sie gab ihr auch ein Stück von dem Brot. Dascha schluckte es unter Schmerzen und würgte. Als sie hustete, kam ein Schwall Blut aus ihrem Mund. Tatiana wischte ihr das Gesicht ab und blies dann wieder ihren Atem in Daschas Mund. »Tania?«
»Ja?«
»Sterbe ich? Fühlt es sich so an, wenn man stirbt?«
»Nein, Dascha«, brachte Tatiana hervor.
»Tania ... Liebling, du bist eine gute Schwester«, flüsterte Dascha.
Schließlich spürte Tatiana eine warme Hand auf ihrem Rücken, und eine Stimme sagte: »Komm. Du wirst nicht glauben, was ich für dich habe. Es ist Frühstückszeit. Es gibt Buchweizen, kasha, Brot und etwas Butter. Du bekommst auch Tee mit Zucker und vielleicht sogar ein wenig richtige Milch. Komm. Wie heißt du?«
»Ich kann meine Schwester nicht allein lassen«, sagte Tatiana. Mitleidig entgegnete die Krankenschwester: »Ich heiße Olga. Komm, es gibt nicht ewig Frühstück.« Sie zog Tatiana hoch. Tatiana warf noch einen Blick auf ihre Schwester. Dascha lag mit geöffnetem Mund und offenen Augen da. Tatiana drückte ihr die Augen zu, küsste sie und schlug das Kreuzzeichen über ihrer Stirn. Dann ging sie hinter Olga her. Olga brachte ihr eine kleine Schüssel mit Buchweizen, aber sie aß nur die Hälfte. Als Olga sie bat, doch mehr zu essen, erwiderte sie, sie wolle den Rest für ihre Schwester aufheben. Dann fiel sie in Ohnmacht.
Einige Zeit später erwachte Tatiana in einem Bett.
Olga brachte ihr Tee und ein Stück Brot. Tatiana lehnte es ab.
»Wenn du nicht isst, wirst du sterben«, sagte Olga.
»Ich sterbe nicht«, erwiderte Tatiana mit schwacher Stimme.
»Geben Sie es meiner Schwester Dascha.«
»Deine Schwester ist tot«, erwiderte Olga.
»Das kann nicht sein.«
»Komm mit. Ich bringe dich zu ihr.«
Sie führte sie zu einem Raum, in dem Dascha neben drei anderen Leichen auf dem Boden lag.
Tatiana fragte, wer sie beerdigen würde, aber Olga erwiderte, was sie sich denn dächte? Niemand würde sie beerdigen, »Hast du die Tabletten genommen, die der Arzt dir gegeben hat?« Tatiana schüttelte den Kopf. »Olga, können Sie mir ein Laken für meine Schwester bringen?«
Olga brachte ihr ein Leintuch, weitere Tabletten, eine Tasse schwarzen Tee mit Zucker und eine Scheibe Brot mit Butter. Dieses Mal nahm Tatiana die Medizin und aß alles auf. Als sie fertig war, legte sie das Laken auf den Boden und wickelte ihre Schwester darin ein.
Dann machte sie sich auf die Suche nach Dimitri. Sie erkannte ihn zunächst nicht. Er stand vor ihr und sagte: »Tania, was zum Teufel ist denn los mit dir? Ich bin Dimitri.« Gleichmütig erwiderte sie: »Oh. Ich brauche deine Hilfe.« »Erkennst du mich denn nicht, Tania?«
»Doch, natürlich«, sagte sie mit monotoner Stimme. »Komm bitte
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