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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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kleine Holzhütten.
    Durch die Fichten und Ulmen schimmerte der Fluss, und hinter dem Wald ragten die Berge des Ural auf.
    Er atmete tief ein. Der Duft von Holzkohle, frischem Wasser und Tannennadeln lag in der Luft. Und es roch nach Fisch. Außerhalb des Ortes befand sich eine Fischräucherfabrik. Alexander kam an einer Frau vorbei, die auf der Veranda ihres Hauses saß. Sie starrte ihn an. Einen Offizier der Roten Armee sah man hier sicher nicht allzu oft. Die Frau stand auf und rief: »Oh nein! Sie sind doch nicht etwa Alexander, oder?« Verblüfft blieb Alexander stehen. »Doch«, brachte er schließlich heraus. »Ich bin Alexander. Ich suche nach Tatiana und Dascha Metanowa. Wissen Sie, wo sie wohnen?« Die Frau begann zu weinen.
    Alexander starrte sie an. »Ich frage einfach jemand anderen«, murmelte er und ging weiter.
    Aber die Frau kam hinter ihm hergerannt. »Nein, warten Sie!« Sie wies die Straße hinunter. »Freitags haben sie immer Nähzirkel auf dem Dorfplatz. Geradeaus, gleich dort drüben.« Kopfschüttelnd wandte sie sich wieder um. »Also leben sie noch?«, fragte Alexander erleichtert. Die Frau gab keine Antwort. Sie schlug sich die Hände vors Gesicht und rannte auf ihre Veranda.
    Sie hatte »sie« gesagt. Das bedeutete ... Er hatte nach zwei Schwestern gefragt, und sie hatte »sie« geantwortet. Alexander verlangsamte seine Schritte, zündete sich eine Zigarette an und nahm einen Schluck aus seiner Feldflasche. Dann ging er weiter. In etwa dreißig Metern Entfernung vom Dorfplatz blieb er jedoch stehen.
    Er konnte seinen Weg nicht fortsetzen. Noch nicht. Wenn sie beide noch am Leben waren, würde er in Kürze ganz andere Probleme haben, als er sich vorgestellt hatte. Sicher würde er damit fertig werden, er war schließlich bisher mit allem fertig geworden, aber zuerst...
    Alexander durchquerte einfach einen fremden Garten und ging durch das hintere Tor zum rückwärtigen Teil der Dorfstraße. Er wollte sich dem Platz von hinten nähern. Er wollte Tatiana einen Moment lang betrachten, ohne dass sie ihn sah. Bevor Dascha ihn entdeckte, wollte er Tatiana ungehindert betrachten können.
    Um den kleinen Platz herum standen hohe Ulmen. Eine Gruppe von Menschen saß unter den Bäumen an einem langen Holztisch. Die meisten waren Frauen, und nur ein junger Mann war dabei. Er trat näher.
    Ein Zaun und ein blühender Fliederbusch versperrten ihm die Sicht. Tief atmete er den Duft ein. Dascha konnte er nirgendwo entdecken. Vier alte Frauen saßen um den Tisch herum, dann der Junge, ein älteres Mädchen - und da stand Tatiana. Zuerst konnte Alexander es kaum glauben, dass es seine Tania war. Blinzelnd sah er genauer hin. Sie ging um den Tisch herum, gestikulierte, zeigte etwas, beugte sich vor und sah sich die Arbeiten an. Einmal richtete sie sich auf und wischte sich über die Stirn. Sie trug einen kurzärmeligen gelben Kittel. Sie war barfuß, und ihre schlanken Beine waren bis über die Knie entblößt. Die bloßen Arme waren leicht gebräunt und die blonden Haare durch die Sonne noch heller geworden. Tatiana hatte sie zu zwei kurzen, festen Zöpfen geflochten. Selbst aus dieser Entfernung konnte Alexander die Sommersprossen auf ihrer Nase sehen. Sie war wunderschön. Und sie lebte.
    Er schloss die Augen und öffnete sie gleich wieder. Sie war immer noch da und beugte sich gerade über die Näharbeit des Jungen. Sie sagte etwas. Jemand lachte laut, und Alexander sah, wie der Junge ihren Rücken berührte. Tatiana lächelte. Alexander wusste nicht, was er tun sollte. Sie lebte. Warum hatte sie ihm nicht geschrieben? Und wo war Dascha? Unwillig zuckte er mit den Schultern. Er konnte nicht ewig unter dem Flieder stehen bleiben.
    Er trat zurück auf die Hauptstraße, holte tief Luft, drückte seine Zigarette aus und ging auf den Platz zu. Sein Herz klopfte so heftig, als ob er in die Schlacht zöge.
    Tatiana blickte auf. Als sie ihn entdeckte, schlug sie die Hände vors Gesicht. Alle sprangen auf und umringten sie, aber sie stieß die anderen weg und rannte auf Alexander zu. Er stand da wie gelähmt. Er wollte lächeln, aber gleichzeitig hatte er Angst, auf die Knie zu sinken und weinen zu müssen. Er ließ sein Gepäck fallen, sogar sein Gewehr. Gott, in einer Sekunde werde ich sie endlich spüren. Und da endlich lächelte er. Tatiana flog in seine ausgebreiteten Arme, und Alexander hob sie hoch. Er drückte sie an sich, so fest er konnte, sie schlang ihm die Arme um den Hals und vergrub ihr Gesicht an

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