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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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seiner bärtigen Wange. Trockene Schluchzer ließen ihren ganzen Körper beben. Sie war schwerer als beim letzten Mal, als er sie am Ladogasee aus dem Lastwagen gehoben hatte. Sie roch unglaublich. Nach Seife, Sonnenschein und karamelli-siertem Zucker.
    Und sie fühlte sich unglaublich gut an. Alexander hielt sie eng umschlungen, rieb sein Gesicht an ihren Zöpfen und murmelte sinnlose Worte. »Schscht, schscht ... komm, ach du, schscht, Tatia ... Bitte ...« Seine Stimme brach.
    »Oh, Alexander«, sagte Tatiana leise an seinem Hals. Sie hielt seinen Hinterkopf umfasst. »Du lebst. Gott sei Dank.« »Tatiana«, sagte Alexander und zog sie noch enger an sich. »Du lebst! Gott sei Dank.«
    Seine Hände glitten über ihren Hals und ihren Rücken. Beinahe konnte er durch die dünne Baumwolle ihres Kittels ihre Haut spüren. Sie fühlte sich ganz weich an. Schließlich setzte er sie ab. Aber er ließ sie nicht los, seine Hände blieben um ihre schmale Taille liegen. War sie immer schon so klein gewesen wie jetzt, wo sie barfuß vor ihm stand? »Dein Bart gefällt mir«, sagte Tatiana und berührte schüchtern lächelnd sein Gesicht.
    »Deine Haare sind so schön«, erwiderte Alexander und zog sie an einem Zopf.
    »Du bist ganz schmutzig ...«
    Er betrachtete sie eingehend. »Und du bist wunderschön.« Er konnte den Blick nicht von ihren Lippen abwenden. Er beugte sich zu ihr ... Da fiel ihm plötzlich Dascha ein. Sein Lächeln erlosch. Er ließ Tatiana los und trat einen halben Schritt zurück.
    »Wo ist Dascha, Tania?«, fragte er.
    Ein eisiger Schleier legte sich über ihre Augen. Sie blickte ihn kühl an und sagte leise: »Dascha ist tot, Alexander. Es tut mir Leid.«
    »Oh, Tania, mir tut es Leid.« Alexander streckte die Hand nach ihr aus, aber sie wich vor ihm zurück. »Was ist?«, fragte er verblüfft. »Was ist los?« »Alexander, das mit Dascha tut mir wirklich Leid«, wiederholte Tatiana, ohne ihn anzusehen. »Du bist den ganzen Weg hierher gekommen .,,« »Wovon redest du ...?«
    Aber bevor sie ihr Gespräch fortsetzen konnten, umringten sie endlich die anderen Mitglieder des Nähkränzchens. »Taneschka«, sagte eine kleine, rundliche Frau mit grauen Haaren und kleinen, runden Knopfaugen. »Ist das Daschas Alexander?« »Ja«, antwortete Tatiana, »das ist Daschas Alexander.« Dann wandte sie sich an Alexander und fügte hinzu: »Alexander, darf ich dir Naira Michailowna vorstellen?« Naira begann zu weinen. »Oh, du armer Mann.« Sie umarmte Alexander. Armer Mann? Er warf Tatiana einen fragenden Blick zu.
    »Naira, bitte«, sagte Tatiana und trat noch einen Schritt weiter zurück.
    Schniefend flüsterte Naira Tatiana zu: »Wusste er es denn schon?«
    »Nein, er hat es nicht gewusst, aber jetzt weiß er es«, erwiderte Tatiana. Daraufhin begann Naira noch heftiger zu schluchzen. Tatiana stellte ihm auch die anderen vor. »Alexander, das ist Vova, Nairas Enkel, und Zoe, Vovas Schwester.« Vova war ein strammer Bursche, und er gefiel Alexander gar nicht. Mit seinem runden Gesicht, den runden Augen und dem runden Mund glich er seiner Großmutter sehr. Er schüttelte Alexander die Hand.
    Zoe, ein großes, dunkelhaariges Dorfmädchen, umarmte ihn, wobei sie ihre Brüste ein wenig zu fest gegen seine Uniformjacke drückte. Dann ergriff sie Alexanders Hand und sagte: »Wir freuen uns so, dich kennen zu lernen, Alexander! Wir haben schon viel von dir gehört.«
    »Alles!«, warf eine Frau mit weißen Löckchen aufgeregt ein. Tatiana stellte sie als Nairas ältere Schwester Axinja vor. »Wir haben wirklich alles über dich erfahren.« Auch sie umarmte Alexander.
    Dann traten noch zwei weitere Frauen vor. Sie waren beide zart und grauhaarig. Eine von ihnen hatte offenbar Schüttellähmung, denn ihre Gliedmaßen zuckten unablässig. Sie hieß Raisa. Der Name ihrer Mutter war Dusia. Sie war etwas größer und stämmiger als ihre Tochter und trug ein schweres Silberkreuz um den Hals. Sie schlug das Kreuzzeichen über Alexander und sagte: »Gott wird sich deiner annehmen, Alexander. Mach dir keine Sorgen!«
    Alexander hätte am liebsten erwidert, dass er nun, da er Tatiana gefunden hatte, keinen Grund mehr habe, sich Sorgen zu machen. Doch bevor er etwas sagen konnte, fragte Axinja, wie es ihm ergangen sei, und wieder folgten Tränen und Umarmungen.
    »Mir geht es gut«, sagte Alexander. »Wirklich! Es gibt keinen Grund zu weinen.«
    Er hätte genauso gut schweigen können. Sie hörten nicht auf zu wehklagen.
    Verwirrt

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