Die Liebenden von Leningrad
sie, aber ich hatte ja kaum genug Kraft, um für mich selbst zu sorgen. Da konnte ich mir nicht auch noch um sie Gedanken machen.«
Wie klar Tatiana doch Dimitri durchschaut hatte! Er hat sich nie wirklich etwas aus ihr gemacht, dachte Alexander. Er legte seine Sachen in die Kommode und vermied es, Dimitri anzusehen, »Da wir gerade vom Überleben reden, Alexander - ich möchte gern etwas mit dir besprechen«, begann Dimitri erneut. Alexander sah ihn nicht an.
»Es ist doch besser für uns, dass die Amerikaner in den Krieg eingetreten sind, oder?«
Alexander nickte und erwiderte: »Ja. Ihre Unterstützung hilft uns.«
»Nein, nein!« Dimitri sprang erregt auf. »Ich meine nicht für uns, sondern für dich und mich. Für unsere Pläne.« Alexander blickte Dimitri an. »Ich habe hier noch nicht allzu viele Amerikaner gesehen«, erwiderte er langsam, wobei er so tat, als verstünde er ihn nicht.
»Ja, weil sie alle in Kobona sind!«, rief Dimitri aus. »Dutzende sind in Kobona!«
»Ist das wahr? Dutzende?«
»Na ja, vielleicht nicht Dutzende, aber immerhin Amerikaner!« Er schwieg. »Vielleicht können sie uns ja helfen?« Er war ganz aufgeregt.
Alexander trat auf Dimitri zu. »In welcher Hinsicht?«, fragte er scharf.
Leise sagte Dimitri mit verschwörerischem Lächeln: »In welcher Hinsicht schon? In amerikanischer Hinsicht. Vielleicht kannst du ja nach Kobona fahren ...«
»Und was soll ich da? Mit wem soll ich reden? Mit den Lastwagenfahrern? Glaubst du, nur weil ein sowjetischer Soldat mit ihnen englisch redet, sagen sie sofort, ja, klar, komm mit uns auf unser Schiff? Wir bringen dich nach Hause?« Alexander schwieg und zog an seiner Zigarette. »Und selbst wenn das irgendwie ginge, wie sollen wir denn dich hier herausholen? Selbst wenn irgendein Fremder für mich seinen Hals riskieren würde, wie sollte er dir denn helfen?«
Dimitri zuckte zurück und erwiderte hastig: »Ich habe ja nicht gesagt, dass der Plan schon perfekt ist. Aber es ist doch vielleicht ein Anfang.«
»Dima, du bist verwundet. Sieh dich doch an. Du kannst weder kämpfen noch ... weglaufen. Wir müssen solche Pläne vergessen.«
»Was soll das heißen?«, fragte Dimitri erschreckt. »Ich weiß doch, dass du immer noch ...«
»Dimitri!«
»Wir müssen etwas tun, Alexander«, drängte Dimitri. »Wir hatten doch Pläne ...«
»Dimitri!«, rief Alexander erneut aus. »Wir hatten vor; uns durch die NKWD-Grenztruppen zu schlagen und uns in den verminten Sümpfen in Finnland zu verstecken. Wie sollen wir das denn jetzt noch schaffen, wo du dir selbst in den Fuß geschossen hast?«
Dankbar registrierte Alexander, dass Dimitri darauf keine Antwort einfiel.
»Aber irgendjemand muss mir helfen«, sagte Dimitri schließlich. »Und zwar bald. Ich habe nicht die Absicht, in diesem verdammten Krieg zu sterben.« Er schwieg und sah Alexander aus zusammengekniffenen Augen an. »Du etwa?« »Wenn es sein muss, sterbe ich eben«, erwiderte Alexander. Dimitri musterte ihn. Alexander zündete sich eine Zigarette an und warf Dimitri einen eisigen Blick zu. »Hast du noch dein Geld bei dir?«, fragte Dimitri. »Nein.«
»Kannst du daran kommen?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Alexander. Er zog eine weitere Zigarette aus dem Päckchen. Für ihn war das Gespräch beendet. »Du hast noch eine halb aufgerauchte im Mund«, bemerkte Dimitri trocken.
Alexander bekam dreißig Tage Urlaub. Er bat Stepanow um noch mehr Zeit, und dieser gab ihm schließlich vom 15. Juni bis zum 24. Juli frei.
»Ist das genug?«, fragte Stepanow leise lächelnd. »Es ist entweder zu viel, Genosse Oberst«, erwiderte Alexander, »oder nicht genug.«
»Hauptmann«, sagte Stepanow, zündete sich eine Zigarette an und gab Alexander auch eine, »wenn Sie zurückkommen ...« Er seufzte. »Wir können nicht mehr hier in der Garnison bleiben. Sie sehen ja, was mit unserer Stadt passiert ist. Noch solch einen Winter stehen wir hier nicht durch. Das darf einfach nicht passieren.« Er schwieg. »Wir werden die Blockade brechen müssen. Noch diesen Herbst.« »Da stimme ich Ihnen zu, Genosse Oberst.« »Tatsächlich, Alexander? Haben Sie gesehen, was mit unseren Männern in Mga und Tikhvin passiert ist?« »Ja, Genosse Oberst.«
»Und haben Sie gehört, was mit unseren Männern in Newskij drüben bei Dubrowka geschehen ist? «
»Ja, Genosse Oberst.« Newskij in der Nähe von Dubrowka war eine Enklave der Roten Armee innerhalb der feindlichen Linien - die Deutschen hielten dort
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