Die Liebenden von Leningrad
Vergangenheit...«
»Nein!«, schrie sie. »Es ist noch aktuell, jetzt im Moment. Es ist um mich herum und in mir drin. Hier haben sie doch von nichts anderem geredet, als dass du kommst und meine Schwester heiratest! Und damit meine ich nicht nur die alten Frauen, sondern das ganze Dorf. Seit ich hier bin, habe ich nichts anderes gehört. Dascha und Alexander. Dascha und Alexander. Arme Dascha. Armer Alexander.« Ein Schauer lief ihr über den Rücken. »Das hat mit Vergangenheit wirklich nichts zu tun ...«
»Und ist das etwa meine Schuld?«, versuchte sich Alexander zu rechtfertigen.
»Etwa nicht? Haben die Dorfbewohner vielleicht Dascha gefragt, ob sie dich heiraten will?« »Du weißt, dass ich sie nicht gefragt habe ...« »Unterlass dieses Spielchen, Alexander! Du hast zu ihr gesagt, ihr würdet diesen Sommer heiraten.« »Und warum habe ich das getan?«, fragte er scharf. »Ach, hör doch auf! In der Isaakskathedrale sind wir überein gekommen, einander fernzubleiben. Nur konntest du dir leider nicht vorstellen, dich von mir fern zu halten. Also hast du beschlossen, meine Schwester zu heiraten.« »Zumindest hat dich Dimitri danach in Ruhe gelassen, oder etwa nicht?«, fragte Alexander wütend, »Er hätte mich auch in Ruhe gelassen, wenn du nie wieder zu uns in die Wohnung gekommen wärst!«, schrie Tatiana ihn an. »Was wäre dir lieber gewesen?«
»Meinst du die Frage ernst?«, keuchte sie. »Fragst du mich allen Ernstes, ob es mir lieber gewesen wäre, dass du meine Schwester heiratest, statt dich nie mehr zu sehen?« »Ja. In der Isaakskathedrale hast du mich gebeten, dass wir in Verbindung bleiben. Also erzähl doch jetzt nicht das Gegenteil!« »Ach, so einfach ist das also?« Tatiana marschierte wütend über die Lichtung.
»Bleib stehen!«, schrie er. »Erst stellst du die Regeln auf, und dann willst du nicht danach spielen. Na gut, dann musst du damit leben.«
»Ich lebe ja damit«, gab Tatiana zurück. »Jeden einzelnen verdammten Tag, seit ich dich kennen gelernt habe.« Keuchend fuhr sie fort: »Du hast Dascha gesagt, ihr würdet heiraten, sie hat es meiner Großmutter geschrieben und die hat es dem ganzen Dorf erzählt. Du hast ihr einen Brief geschrieben, in dem du angekündigt hast, du kämest, um sie zu heiraten. Worte haben eine Bedeutung, weißt du? Selbst Worte, die du gar nicht meinst.« »Wenn du das so empfindest«, sagte er, »warum hast du mir dann nicht geschrieben, dass Dascha es nicht geschafft hat? Dass du aber hier bist? Dann wäre ich schon früher gekommen. Und ich hätte nicht sechs Monate lang in dem Glauben gelebt, dass du tot bist.«
Tatiana blickte ihn fassungslos an. »Nach diesem Brief an Dascha sollte ich dir antworten und dich bitten, hierher zu kommen? Du glaubst allen Ernstes, ich hätte dich nach diesem Brief überhaupt noch um etwas gebeten? Ich wäre ja eine Idiotin, wenn ich das getan hätte! Eine Idiotin oder ...« Sie brach ab. »Oder was?«, fragte er.
»Oder ein Kind«, erwiderte sie, ohne ihn anzublicken. Alexander holte tief Luft. »Oh, Tania ...« »Diese Erwachsenenspiele«, sagte sie und wich vor ihm zurück, »diese Lügen - du bist einfach zu gut darin.« Sie senkte den Kopf. »Zu gut für mich.«
Alexander hätte sie am liebsten berührt. »Tania ...«, flüsterte er und streckte seine Hände aus. »Wovon redest du? Was für Spiele, was für Lügen?«
»Warum bist du hierher gekommen? Warum?«, fragte sie kalt. Er erstickte fast an seinen Worten. »Wie kannst du mich das überhaupt fragen?« »Warum nicht? Du hast ihr geschrieben, du kämest hierher, um sie zu heiraten. Wie sehr du sie liebtest. Dass sie die richtige Frau für dich sei. Die einzige Frau für dich. Ich habe diesen Brief gelesen. Und das Letzte, was ich dich am Ladogasee sagen hörte, war, dass du mich nie ...«
»Tatiana!«, schrie Alexander. »Was zum Teufel soll das? Hast du vergessen, dass du mir das Versprechen abgenommen hast, bis zum letzten Augenblick zu lügen? Im November habe ich noch vorgeschlagen, dass wir die Wahrheit sagen. Aber du ... Lügen, Lügen, Lügen! Shura, heirate sie, versprich mir, dass du ihr nicht das Herz brichst. Erinnerst du dich?« »Ja, und du hast dein Versprechen ja auch sehr gut gehalten«, erwiderte Tatiana bitter. »Musstest du denn derart überzeugend sein?«
Alexander fuhr sich mit der Hand durch die Haare und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Du weißt doch, dass ich es nicht so gemeint habe.«
»Was genau?«, fragte sie. »Dass
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