Die Liebenden von Leningrad
Sein Gepäck war noch da, aber von ihm gab es keine Spur.
»Was ist los, Taneschka?«, fragte Naira, die mit einem Korb voller Salat hereinkam.
»Nichts«, erwiderte Tatiana keuchend.
»Wo ist Alexander?«
»Er ist noch bei der alten Hütte«, sagte sie. »Er reißt die Bretter von den Fenstern.«
»Hoffentlich nagelt er sie auch wieder an«, bemerkte Dusia und blickte von der Bibel auf. »Warum tut er das überhaupt?« »Ich weiß nicht«, entgegnete Tatiana und wandte sich ab. »Möchtest du deine Medizin, Raisa?« »Ja, bitte.«
Tatiana gab Raisa die Medizin, dann faltete sie die Wäsche, die sie am Tag zuvor gewaschen hatte, und danach versteckte sie Alexanders Zelt und sein Gewehr in dem Schuppen hinter dem Haus, weil sie Angst hatte, er könne seine Sachen holen und gehen. Anschließend ging sie zum Fluss und wusch seine Uniform.
Sobald sie damit fertig war, lief sie mit Alexanders Helm in den Wald und sammelte Blaubeeren. Als sie wieder zu Hause war, buk sie Blaubeerkuchen und machte Kompott. Alexander war immer noch nicht da.
Wieder ging sie zum Fluss, fing Fische und kochte ukha, eine Fischsuppe. Alexander hatte ihr einmal erzählt, dass er ukha schrecklich gern aß. Er war immer noch nicht da.
Dann schälte Tatiana Kartoffeln, rieb sie und briet Kartoffelpfannkuchen.
Vova kam vorbei und fragte sie, ob sie Lust hätte, mit ihm schwimmen zu gehen. Sie verneinte und nähte stattdessen ein neues, größeres ärmelloses Hemd aus gerippter Baumwolle für Alexander.
Aber immer noch war er nicht da.
Die Angst schnürte ihr den Magen zusammen. Aber sie würde ihn nicht gehen lassen, bevor sie ihren Streit nicht zu Ende gebracht hatten.
Mittlerweile war es sechs Uhr und Zeit, zur banya zu gehen. Tatiana hinterließ Alexander eine Nachricht.
Liebster Shura,
wenn du Hunger hast, iss bitte die Suppe und die Pfannkuchen. Wir sind im Badehaus. Aber vielleicht wartest du auch auf uns, dann können wir zusammen essen. Auf deinem Bett liegt ein neues Hemd für dich. Ich hoffe, es passt besser als das andere. Tania Im Badehaus schrubbte sie sich, bis sie vor Sauberkeit glänzte. Zoe wollte wissen, ob Alexander am Abend mit ihnen zum Feuer käme.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Tatiana. »Da musst du ihn schon selbst fragen.«
Zoe strich sich über ihre großen Brüste. »Er ist hinreißend.
Glaubst du, er trauert sehr um Dascha?«
»Ja.«
Zoe lächelte. »Vielleicht braucht er ja ein bisschen Trost.« Tatiana blickte Zoe an. Als ob Zoe wüsste, welchen Trost Alexander brauchte! »Ich weiß nicht, was du meinst«, erwiderte sie kühl.
»Nein, sicher nicht.« Lachend ging Zoe davon, um sich anzuziehen.
Tatiana trocknete sich ab, bürstete ihre nassen Haare und ließ sie offen hängen. Sie zog ein blau bedrucktes Baumwollkleid an, das sie sich genäht hatte. Es war kurz, aus dünnem Stoff und ärmellos, mit einem tiefen Rückenausschnitt. Als die Frauen aus dem Badehaus kamen, wartete Alexander draußen auf sie. »Da ist er ja!«, rief Zoe aus. »Wo hast du den ganzen Tag gesteckt? «
Dusia fragte: »Was machen die Fenster an dem Haus?« »Fenster? Welches Haus?«, erwiderte er mürrisch. »Wassilij Metanows Haus, Tania hat gesagt, du hast die Bretter von den Fenstern genommen.« »Oh«, erwiderte er und blickte Tatiana finster an. »Hast du Hunger? Oder hast du schon etwas gegessen?«, fragte Tatiana kleinlaut. Stumm schüttelte er den Kopf.
Sie machten sich alle auf den Nachhauseweg. Axinja hängte sich bei Alexander ein. Zoe drängte sich von der anderen Seite an ihn und fragte ihn, ob er mit zum Feuer kommen wolle. »Nein«, erwiderte er und trat zu Tatiana. Er flüsterte ihr zu: »Was hast du mit meinen Sachen gemacht?« »Ich habe sie versteckt«, flüsterte sie zurück. Sie hätte ihm gern die Hand auf den Arm gelegt, aber sie hatte Angst, er würde die Beherrschung verlieren und vor den anderen einen Streit beginnen.
»Tania hat eine sehr gute Fischsuppe gekocht«, bemerkte Naira. »Magst du Fischsuppe, Alexander?«
Dusia warf ein: »Und ihr Blaubeerkuchen ist himmlisch. Ich habe solchen Hunger.«
»Warum?«, flüsterte Alexander.
»Warum was?«, fragte Dusia.
»Ach, nicht so wichtig«, erwiderte er und ging weiter. Zu Hause deckte Tatiana den Tisch. Sie blickte zum Bett, um sich zu vergewissern, dass er die Nachricht gelesen und das Hemd genommen hatte. Der Zettel war weg, aber das Hemd lag noch da.
Die vier alten Frauen saßen auf der Veranda. Alexander kam zu Tatiana ins Zimmer. »Wo sind
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