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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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er heute denn keinen Dienst?
    »Dimitri, um wie viel Uhr hast du Dienst?«
    »Um elf«, gab Dimitri zurück. »Aber Alexander hat heute Abend frei.«
    Tatiana konnte es nicht fassen.
    »Tania, hast du schon gehört? Mama und Papa schlafen jetzt in Dedas und Babuschkas Zimmer«, erzählte Dascha lächelnd. »Wir beide haben jetzt ein Zimmer ganz für uns allein. Kannst du das glauben?«
    Daschas Stimme hatte einen Klang, der Tatiana nicht gefiel. »Nein«, entgegnete sie. Wann ging Alexander endlich? Dimitri brach zur Kaserne auf. Kurz vor elf wollten Mama und Papa zu Bett gehen und Mama flüsterte Dascha zu: »Er kann nicht über Nacht bleiben, hast du verstanden? Dein Vater würde sehr zornig werden ...«
    »Ich habe verstanden, Mama«, flüsterte Dascha zurück. »Er geht gleich, ich verspreche es dir,«
    Die Eltern gingen schlafen und Dascha zog Tatiana beiseite und wisperte: »Tania, kannst du auf dem Dach noch ein wenig mit Anton spielen? Bitte! Ich möchte nur eine einzige Stunde mit Alexander allein sein - in einem Zimmer, Tania!« Tatiana ließ Dascha mit Alexander in ihrem Zimmer allein. Sie ging in die Küche und erbrach sich in die Spüle. Aber die Übelkeit ließ nicht nach, auch nicht, als sie aufs Dach ging und sich dort zu Anton setzte, der Nachtwache halten musste. Anton war kein guter Himmelsbeobachter: Er schlief, kaum dass Tatiana neben ihm saß. Glücklicherweise war alles ruhig. Selbst aus der Ferne hörte man keine Kriegsgeräusche. Tatiana begann zu weinen.
    Es ist meine Schuld, dachte sie. Es ist alles meine Schuld. Ich kann niemandem einen Vorwurf machen. Hätte sie nicht beschlossen, Pascha eigenhändig wieder nach Hause zu holen, hätte sie sich nicht das Bein gebrochen und sie und Dascha wären mit Deda und Babuschka nach Molotow gefahren. Und das Undenkbare würde nicht jetzt gerade in ihrem Zimmer passieren.
    Sie saß so lange auf dem Dach, bis Dascha kam und sie hereinholte.
    Am nächsten Abend erklärte Mama Tatiana, dass sie von jetzt an das Essen für die Familie zubereiten müsse, schließlich könne sie nicht den ganzen Tag untätig zu Hause herumsitzen. Solange Tatiana denken konnte, hatte Babuschka gekocht. Nur an den Wochenenden war Tatianas Mutter für die Mahlzeiten zuständig gewesen. Manchmal bereitete auch Dascha das Essen zu. An den Feiertagen, wie Neujahr, kochten sie alle gemeinsam, bis auf Tatiana, die immer nur aufräumte oder abspülte.
    »Das täte ich gern, Mama«, verkündete Tatiana. »Wenn ich nur wüsste, wie es geht.«
    Verächtlich sagte Dascha: »Kochen ist doch nicht schwer!« »Genau«, stimmte Alexander lächelnd zu. »Kochen ist nicht schwer. Mach etwas Leckeres, Kohlkuchen zum Beispiel!« Warum nicht, dachte Tatiana, sie musste schließlich ihre Hände beschäftigen, während ihr Bein heilte. Sie würde es versuchen. Sie wollte nicht mehr den ganzen Tag nur herumsitzen und lesen oder an Alexander denken.
    Die Krücken hatten sie zu sehr behindert, deshalb benutzte Tatiana sie nicht mehr. Sie humpelte zum Einkaufen. Ihr erstes Gericht würde Kohlkuchen sein. Gern hätte sie Pilzkuchen gebacken, aber im Laden gab es keine Pilze. Nach mehreren Versuchen und fünf Stunden Arbeit hatte Tatiana es geschafft: Der Kohlkuchen war fertig. Dazu kochte sie eine Hühnersuppe.
    Alexander kam zusammen mit Dimitri zum Abendessen. Tatiana befürchtete, dass ihr Gericht Alexander nicht schmecken könnte. Neckend sagte er: »Um nichts in der Welt würde ich deinen ersten Kohlkuchen verpassen wollen!« Sie aßen und tranken und unterhielten sich über den Tag und über den Krieg. Papa sagte: »Tania, der Kuchen ist ein bisschen salzig!«
    Mama sagte: »Und es sind zu viele Zwiebeln darin. Warum hast du nicht versucht, etwas anderes als Kohl zu bekommen?« Dascha bemerkte: »Tania, die Karotten musst du das nächste Mal ein bisschen länger in der Brühe kochen. Und du hast das Lorbeerblatt vergessen!«
    Dimitri warf lächelnd ein: »Für einen ersten Versuch ist es nicht schlecht, Tania.«
    Alexander hielt Tatiana seinen Teller hin und sagte: »Es ist großartig! Kann ich bitte noch von dem Kohlkuchen haben? Und noch etwas Suppe, bitte!«
    Nach dem Essen schubste Dascha Tatiana in die Küche und flüsterte flehend: »Kannst du mit Dimitri ein bisschen aufs Dach gehen? Heute Abend wird es nicht so spät. Alexander muss gleich in die Kaserne zurück. Bitte!« Auf dem Dach spielten ständig Kinder aus den anderen Wohnungen, so dass Dimitri und Tatiana nicht allein waren.

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