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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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ihrem Bett, bis es an der Tür klopfte und Alexander erneut ins Zimmer trat. Er setzte sich auf die Bettkante und wischte ihr mit einer zärtlichen, besitzergreifenden Geste den Lippenstift ab. »Was ist denn das?«, wollte er wissen.
    »Die anderen Mädchen tragen auch alle Lippenstift«, protestierte Tatiana und fuhr sich rasch über den Mund. »Auch Dascha.« »Ich möchte nicht, dass du dein hübsches Gesicht schminkst«, bestimmte er und streichelte ihr sanft über die Wange. »Du hast es wirklich nicht nötig.«
    »Gut«, willigte sie ein und legte sich erwartungsvoll in die Kissen zurück. Ernst blickte sie ihn an.
    Alexander schwieg. Schließlich sagte er seufzend: »Tania, wegen gestern Nacht...« Sie holte tief Luft.
    »Hör zu, du kannst das nicht tun«, erklärte er.
    »In Ordnung«, erwiderte sie rau und ergriff ihn am Ärmel. Sie fuhr mit den Fingern seine Lippen nach. »Shura ...«
    Alexander wandte den Kopf und stand auf. Verwirrt blickte Tatiana ihn an. »Es tut mir Leid wegen gestern«, sagte er kühl.
    »Ich war betrunken. Ich habe dich missbraucht...«
    »Nein, das hast du nicht!«, widersprach sie.
    Er nickte. »Doch! Es war ein schrecklicher Fehler. Ich hätte nicht hierher kommen dürfen, das weißt du.«
    Sprachlos schüttelte Tatiana den Kopf.
    »Ich weiß, wie du dich fühlst, Tania«, beteuerte Alexander mühsam beherrscht. »Aber wir tun etwas Unmögliches. Wo sollen wir ...«
    »Hier«, flüsterte sie errötend.
    Die Krankenschwester kam herein, sah nach Tatiana und warf Alexander einen strengen Blick zu. Sie schwiegen, bis sie wieder hinausgegangen war.
    Dann sagte Alexander: »Hier? Die Krankenschwestern stehen ständig vor der Tür! Dieses Risiko für eine Viertelstunde ... Ist es das, was du willst?«
    Tatiana antwortete nicht und hielt den Blick gesenkt.
    »Gut«, sagte Alexander und stieß einen Seufzer aus. »Wo sonst?«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte sie und biss sich auf die Lippen, um nicht zu weinen. »Wie machen es denn die anderen?« »Andere machen es auf der Straße, gegen die Mauer gelehnt!«, rief Alexander aus. »Auf Parkbänken und in der Kaserne und in Gemeinschaftswohnungen, wo die Eltern nebenan auf dem Sofa schlafen!« Er wandte den Blick ab. »Die anderen sind nicht du, Tatiana.« Sie wandte sich von ihm ab. »Du hast etwas Besseres verdient.« Sie wollte nicht, dass er ihre Tränen sah. »Ich bin hier, um mich bei dir zu entschuldigen und dir zu sagen, dass es nicht wieder vorkommen wird.« Sie schloss die Augen und versuchte, ruhig zu bleiben. »In Ordnung.«
    Alexander ging um das Bett herum und stellte sich vor sie. Sein Gewehr ließ er nicht los. Tatiana wischte sich über das Gesicht. »Tania, bitte weine nicht«, bat er sie zärtlich. »Gestern Nacht war ich bereit, alles zu geben, um das brennende Verlangen zu befriedigen, das ich in mir spüre, seit ich dich kennen gelernt habe. Aber Gott hat über dir gewacht und hat uns daran gehindert, es zu tun. Vor allem mich hat er aufgehalten und jetzt bin ich nicht mehr so verwirrt...« Alexander schwieg. »Doch mein Verlangen nach dir hat nicht nachgelassen.« Er holte tief Luft und blickte auf sein Gewehr. Tatiana konnte nichts sagen.
    Alexander fuhr fort: »Du und ich ...« Dann brach er kopfschüttelnd ab. »Aber es ist nicht die richtige Zeit.« Sie drehte sich auf den Rücken und legte einen Arm über ihr Gesicht. »Hättest du dir das nicht überlegen können, bevor du zu mir gekommen bist?«, entfuhr es ihr. »Du ziehst mich einfach magisch an«, erwiderte er. »Gestern Nacht war ich betrunken. Aber heute Abend bin ich nüchtern. Und es tut mir Leid.«
    Tränen schnürten Tatiana die Kehle zusammen. Aber sie sagte kein Wort.
    Alexander ging, ohne sie zu berühren.

    Luga hatte gebrannt, Tolmachewo war gefallen, die Männer des deutschen Generals von Leeb zerstörten die Eisenbahnlinie zwischen Kingisepp und Gatschina, und trotz Tausender von Freiwilligen, die unter Lebensgefahr Schützengräben aushoben, hielt keine der Frontlinien stand.
    Und Tatiana lag noch immer im Krankenhaus. Sie konnte noch nicht laufen und sie konnte noch immer nicht die Augen schließen, ohne dass sie jemand anderen sah als Alexander.
    Mitte August, ein paar Tage bevor Tatiana aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte, kamen Deda und Babuschka zu Besuch, um ihr mitzuteilen, dass sie Leningrad verlassen würden. Babuschka sagte: »Taneschka, wir sind zu alt, um während des Kriegs in der Stadt zu bleiben. Wir würden die

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