Die Liebenden von Sotschi
hinauf, man reißt den Mund auf, aber die Lungen versagen den Dienst – und schon reißen die Lungengewebe, der Krampfhusten treibt sie in die Mundhöhle, man spuckt sein Leben aus mit jedem qualvollen, zerfetzenden Hustenstoß. Hunderttausende, Millionen, die ganze Menschheit verblutet sich aus dem Mund …
Was sind dagegen Dantes Höllenvisionen!?
Die Ratten lagen jetzt auf der Seite, zuckten, krümmten sich und spuckten Blutklumpen aus. Selbst Bubrow, sonst kaum zu erschüttern, würgte fast vor Ekel.
Irene Walther stand auf. »Soll ich den Kasten abdecken?« fragte sie. »Ich werfe ein Tuch drüber.«
»Bitte!« Bubrow atmete hastiger, ihm war, als spüre er selbst die Auflösung seiner Lungen. Er wartete, bis Irene über den Glaskasten eine alte Tischdecke gelegt hatte und wieder neben ihm saß. »Was nun?« fragte er.
»Sie sterben.«
»Keiner kann sie retten?«
»Bei dieser Konzentration unmöglich.«
»Und bei einer normalen?«
»Da haben wir ein Gegenmittel entwickelt, das aber nur im Anfangsstadium hilft. Wenn die Lungen einmal zerfressen sind, ist es zu spät.«
»War der Spray, den du vorhin benutzt hast, dieses Gegenmittel?«
»Ja. Aber er war stark abgeschwächt, sonst hätten wir als Nichtkranke es gar nicht ertragen. Das Gegenmittel hätte uns vergiftet.«
»Du führst ein wahrhaft beruhigendes Leben«, sagte Bubrow. »Diese Vorführung hat mich in Panik versetzt, die werde ich wohl erst los, wenn du wieder in meinen Armen liegst. Irinaschka, gib diesen Beruf auf! Werde wieder Ärztin. Komm, wir ziehen weg von hier! Weit weg. Nach Hamburg, an den Rhein, irgendwohin, wo wir uns ein neues Leben aufbauen können. Wo uns keiner kennt. Nur weg aus dieser heimlichen Hölle, ich bitte dich!«
»Im Augenblick ist das unmöglich, Boris.«
»Es ist niemals unmöglich, woanders neu anzufangen. Ich habe es bewiesen! Ich bin aus dem abgesperrten Rußland hinausgekommen! Laß uns weggehen, es ist für alle besser.«
»Erst muß ich meine Versuchsreihen abschließen. Ich kann nicht mittendrin aufhören.«
»Du kannst!«
»Was soll ich Dr. Ewingk sagen? Welchen Grund?«
»Du bist eine Frau, sag ihm das. Du hast nicht mehr die Nerven, ein solches Vernichtungspotential zu entwickeln. Du kannst einfach nicht mehr. Er wird das einsehen.«
»Ewingk? Nie! Er hat einmal gesagt, ich sei unter seinen Männern der männlichste.«
»Ich habe nie bemerkt, daß er blind ist.«
»Er meint, ich überträfe alle an Ausdauer.«
»Das wiederum könnte ich bestätigen.«
»Jetzt wirst du geschmacklos, Boris!«
»Es ist nur Galgenhumor, Irinaschka!« Boris atmete tief. »Mir steht das Grauen bis zum Hals. Ich ahne, daß ihr mit dem Zeug nicht nur Ratten vertilgen wollt. Die westliche Welt soll damit unbesiegbar werden. Laß die anderen ihre Knallkörper werfen – wir kommen lautlos und todsicher daher. Ist es so?«
»Was soll ich darauf antworten?« Sie strich sich die Haare aus der Stirn und lehnte den Kopf an die Wand. »Ich bin wirklich mit den Nerven fertig.«
»Wir werden eine Lösung finden«, sagte Bubrow ernst. »So geht es nicht mehr weiter. Auf die Dauer zerbrechen wir beide daran.«
Vor allem ich, dachte er und fühlte wieder das Frösteln in seinem Körper. Moskau will etwas hören und sehen. Wie kann ich an Butajew weitergeben, was Irina erforscht hat?! Soll ich mitschuldig werden am Untergang der Welt?
Mit seinem Kontaktmann A 5 verkehrte Bubrow entweder per Telefon oder über einen sogenannten ›toten Briefkasten‹, ein Versteck, in dem man Nachrichten hinterlegt, die dann von den V-Männern regelmäßig abgeholt werden. Auf diese Weise wird ein persönlicher Kontakt weitgehend vermieden; nur wenn es ganz dringend oder wichtig wird, trifft man sich, etwa im Menschengewimmel eines Kaufhauses, vielleicht in der Lebensmittelabteilung, wo es nicht auffällt, wenn man an einem Imbißstand steht und zufällig mit dem Nachbarn ins Gespräch kommt. Meistens fängt man mit Fußball an; Meldungen und Informationen werden eingeflochten.
Obwohl Bubrow erkannt hatte, daß man ihn seit Wochen nicht mehr beobachtete, schon gar nicht seit er bei der Landeswasserbehörde angestellt war, vermied er eine direkte Zusammenkunft mit Peter Hämmerling. Hämmerling verkleidete sich auch nicht mehr als Handwerker; das Auftauchen des CIA-Mannes James C. Forster zu Silvester hatte bewiesen, daß die Amerikaner weniger sorglos als die Deutschen waren und Bubrow mißtrauten. Es war am besten, Bubrow
Weitere Kostenlose Bücher