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Die Liebenden von Sotschi

Die Liebenden von Sotschi

Titel: Die Liebenden von Sotschi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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voll abgedichteten Glaskästen, in die man die Hände, durch Gummimanschetten umhüllt, hineinstecken konnte. Nichts geschah dort außerhalb des gesicherten Raumes. Die wenigen Sekunden, in denen Irene jetzt frei mit der Spritze hantierte, konnten genügen, eine Katastrophe auszulösen. Millionen Bakterien konnten frei werden.
    Mit einer schnellen Bewegung stieß sie die Nadel in den elastischen Gummipfropfen des Glasdeckels und spritzte die Flüssigkeit in den Rattenkasten. Als sie sich mit dem Sauerstoff verband, entstand ein hauchfeiner Nebel. Er verflüchtigte sich jedoch in Sekundenschnelle, und nichts zeigte mehr an, daß Luft und Medikament sich zu einer tödlichen neuen Essenz verbunden hatten.
    Die drei Ratten schienen nichts zu spüren. Sie rasten weiterhin umeinander, stellten sich an den Wänden hoch und kratzten am Glas. Boris ging in die Hocke und beobachtete die Tiere eingehend. Irene hatte die Spritze in einen Plastiküberzug gehüllt, der innen mit einer Flüssigkeit benäßt war. In diesem kleinen Plastiksäckchen ließ sie die Spritze verschwinden und verschloß es schnell mit einem Spezialklebeband. Um ganz sicherzugehen, legte sie den Sack in eine Chromschachtel, die sich luftdicht verschließen ließ. Dann ergriff sie eine Art Zerstäuber und versprühte im ganzen Kellerraum einen feinen, im Licht der Lampen glitzernden Nebel.
    Boris hob unmerklich die Schultern. Das alles war so unwirklich, so makaber, daß ihn fröstelte. Er wußte, daß um ihn herum tausendfacher Tod frei geworden sein konnte – und doch: wenn man Irene mit ihrem Zerstäuber hantieren sah, konnte man eher denken, sie wolle nur die Raumluft mit einem angenehmen Duft verbessern.
    Trotz der ungeheuren Konzentration des Mittels zeigten die Ratten keine Wirkung. Das ist ganz natürlich, dachte Bubrow. Es handelt sich ja um kein Giftgas, um kein chemisches Mittel, sondern um einen biologischen Vorgang: Eine Krankheit wird entwickelt! Drei bis neun Tage, sagte Irene … Das ist ja das Hinterhältige an dieser neuen Waffe; man weiß oder ahnt in den verseuchten Landstrichen über Tage hinweg nicht, daß das Todesurteil über die Bevölkerung bereits gesprochen ist. Wenn die ersten Anzeichen auftreten, ist es zu spät. In einem Labor kann der einzelne sich schützen. Aber wie kann man hunderttausend Infizierte retten?
    Entsetzt sah Boris, wie Irene ihre Atemmaske abnahm und die Haare schüttelte. Auch er riß sie herunter, roch einen leicht fauligen Duft, der von dem Spray herkommen mußte, und wagte nicht, tief durchzuatmen.
    »Du – du bist verdammt leichtsinnig«, sagte er mit belegter Stimme.
    »Nach menschlichem Ermessen kann uns nichts passieren, Liebling.«
    »Das ist kein guter Trost. Irren ist menschlich.«
    »Wir haben jetzt ungefähr drei Stunden Zeit. Mit der Luft eingeatmet und in Körpertemperatur aufgeheizt, müßte dieses Konzentrat schnell zur Reife gelangen. Es sind unglaublich schnell zerstörende Bakterien. Je wärmer ihr Lebensfeld, um so eiliger geht es. Wir experimentieren jetzt mit einer Sorte, die sich selbst in sibirischer Kälte entwickelt.«
    Das war neu. Bubrow blickte gleichgültig weg, aber sein Herz schlug schneller.
    »In Sibirien haben wir ganz besondere Ratten«, sagte er betont naiv. »Bei meinen Kanalbauten habe ich das gesehen. Über normale Rattengifte lachen die nur. Die fressen so etwas als Dessert. Man muß sie erschießen oder mit Schaufeln und Knüppeln totschlagen.«
    »Es geht doch nicht um Ratten, Boris.«
    »Um was sonst?«
    Sie sah ihn lange nachdenklich an. Bubrow vermied es, ihr voll in die Augen zu blicken. Er tastete über seinen Plastikanzug und schien gefunden zu haben, was er suchte.
    »Darf man rauchen?« fragte er. »Oder explodiert die besprühte Luft?«
    »Du kannst rauchen, Boris.«
    »Danke.« Er holte eine Zigarette heraus, steckte sie an und war froh, wieder tief atmen zu können.
    »Glaubst du an Gott?« fragte sie plötzlich.
    »Nein.«
    »Wenn du schwören müßtest – auf was schwörst du dann?«
    »Auf die Ewigkeit meiner russischen Heimat.«
    »Und sonst?«
    »Ich brauchte noch nie zu schwören. Doch, als Soldat! Aber da ging es um die Verteidigung der Heimat. Natürlich kann man privat auf alles schwören. Aufs Augenlicht – oder seine Potenz …«
    »Mir ist nicht zum Lachen zumute, Boris. Ich möchte, daß du mir beim Liebsten, was du hast, schwörst.«
    »Das bist du!« sagte er sofort. Sie lächelte schwach. Die Ratten begannen, unruhig zu werden, stießen

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