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Die Liebenden von Sotschi

Die Liebenden von Sotschi

Titel: Die Liebenden von Sotschi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf der Straße begegnete, sah bestimmt über ihn hinweg. Nicht, weil er so klein gewesen wäre, sondern weil er so unbedeutend aussah. Ein graues Gesicht in der Masse. Ja, er sah grau aus, als sei er aus New Yorks Straßenschluchten noch nie in die Sonne gekommen. Und wäre man ihm in einem verstaubten Warenlager zwischen Stapeln von Pappkartons begegnet, so hätte man gesagt: Da gehört er auch hin!
    Dieser Eindruck verschwand sofort, wenn er den Mund aufmachte. Da spürte man plötzlich seine zwingende Persönlichkeit. Er redete knapp, ohne viel Gesten, mit dunkler, voller Stimme und sehr präzise. Man begriff sofort, daß Widerspruch ihn nicht beeindruckte. Was Tucker einmal gesagt hatte, das galt.
    In seinem Zimmer hingen Gemälde alter holländischer Meister, vor einer Bücherwand protzten der riesige Schreibtisch und eine lederne Sitzgarnitur. Mitten im Zimmer stand ein gewaltiger Globus, der sich in einer geschnitzten Holzwanne drehen ließ und überaus dekorativ wirkte.
    Prof. Tucker kam Irene und Bubrow entgegen, gab ihnen die Hand, wies auf die Garnitur, wartete, bis alle saßen, trat dann neben seinen Globus und stützte sich auf das Holzgestell. Mit einer Handbewegung versetzte er die Erdkugel in Drehungen, lautlos rotierte die Welt. Cohagen lächelte mokant. Jeder Mensch hat seinen Stich, dachte er. Der hat's mit dem Globus. Der Mann, der die Welt bewegt … Tucker schien sehr eitel zu sein.
    »Ich habe Sie in meinen Operationsplan für Freitag hereingenommen, Mr. Jefferson«, sagte Tucker ohne Einleitung. »Das heißt: Ich habe nur Sie. Ich rechne mit sieben Stunden.«
    »Sieben Stunden?« Irene starrte den Professor entgeistert an. »Eine solche Operationsdauer ist –«
    »Frau Kollegin«, Tucker gab der Weltkugel neuen Drall. »Es dürfte doch wohl klar sein, daß wir kein Narkoserisiko eingehen! Dr. Yamanura, mein Anästhesist, ist einer der Besten seines Fachs. Ich habe ihn aus Kyoto geholt. Im übrigen zweifle ich sogar, daß wir mit sieben Stunden auskommen. Unter Umständen wird eine zweite Sitzung erforderlich sein. Sprechen wir das jetzt durch!«
    Professor Tucker ging zu seinem Schreibtisch und zog aus dem Stapel von Büchern und Mappen ein paar große Bogen Papier. Er beugte sich, über Irenes Schulter und legte Blatt neben Blatt auf den niedrigen, länglichen Tisch. Jedes Blatt trug ein Gesicht, hergestellt aus einer Mischtechnik aus Foto und Zeichnung. Keins glich dem anderen, und doch hatten sie alle eine Ähnlichkeit miteinander. Man hätte sagen können: Diese Gesichter gehörten zur selben Familie.
    Irene spürte, wie es ihr kalt über den Rücken lief. Cohagen hüstelte. Bubrow saß unbeweglich. Zehn verschiedene Gesichter. Nur die Augen waren gleich. Bubrows graue Augen. »Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Wie möchten Sie aussehen, Mr. Jefferson? Oder – ich darf mich an Sie wenden, Mrs. Jefferson: Wie möchten Sie Ihren Mann haben? Sie brauchen sich nicht sofort zu entscheiden. Sie haben Zeit bis Freitag.«
    »Wir entscheiden uns jetzt!« sagte Bubrow hart. Er legte den Arm um Irene und zog sie an sich. »Warum etwas hinauszögern, was unabwendbar ist?«
    »Borja, es bleibt dann für immer Ihr Gesicht!« Cohagen hüstelte wieder. »Man kann nicht dauernd daran herumschnippeln!« Er warf einen Blick zu Prof. Tucker, der an seinem riesigen Schreibtisch lehnte. »Sollen wir Sie allein lassen? Ich glaube, Sie sollten mit Irene unter vier Augen darüber sprechen.«
    »Das haben wir bereits getan, Ronny. Schon als Ihr erster Hinweis kam.«
    »Ich – ich halte das sechste Bild für das beste«, sagte Irene leise. »Das sechste von links.«
    »Dann nehmen wir das!« Bubrow zeigte auf den Gesichtsentwurf.
    Irene hielt seine Hand fest. Ihre Finger waren weiß, als sie sich um sein Gelenk schlossen.
    »Es muß dir auch gefallen, Liebling. Nur darauf kommt es an.« Ihre Stimme schwankte, aber sie fing sich wieder. Verdammt tapfere Frau, dachte Cohagen. Sie zeigt auf das sechste Bild – es hätte auch das dritte oder neunte sein können: In jedem Fall wird Bubrow nie mehr Bubrow sein, sondern Jefferson!
    » Dir muß es gefallen, Irininka!« Er küßte ihren Arm. »Ich bin nicht eitel, mir sagen alle Entwürfe zu. Der achte erinnert mich an jemanden …«
    »Die Grundform gehört einem bekannten Hollywood-Schauspieler«, sagte Prof. Tucker gleichgültig. »Wir haben sein Gesicht etwas zum Kantigen hin verändert.« Er sah Irene an, ohne eine Spur von Mitleid. Ein Mann bekam ein neues

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