Die Liebeshandlung
enormen Mengen Lithium nimmt.»
«O Gott, Leonard, ich hab’s dir doch schon so oft gesagt. Mir macht das nichts aus. Der Arzt sagt, dass es nicht mal am Lithium liegt, oder?»
«Der Arzt sagt alles Mögliche.»
«Tu mir bitte einen Gefallen. Sprich nicht so mit mir. Ich mag das nicht. Okay? Es klingt wirklich furchtbar.»
«Tut mir leid.»
«Wirst du depressiv? Du hörst dich depressiv an.»
«Bin ich nicht. Ich bin gar nichts.»
Madeleine legte sich aufs Bett und umschlang ihn. «Du bist gar nichts? Spürst du das hier nicht?» Sie legte ihre Hand auf seinen Hosenlatz. «Wie fühlt sich das an?»
«Angenehm.»
Ein Weilchen wirkte es, aber nicht lange. Wenn Leonard, statt von Madeleine berührt zu werden, sich vorgestellt hätte, wie Madeleine Grammaticus berührte, wäre er vielleicht gekommen. Die Realität reichte ihm nicht, nicht mehr. Und das war ein sogar noch größeres und schwerwiegenderes Problem als seine Krankheit, ein Problem, dem er sich jetzt nicht stellen konnte. Also schloss er die Augen und umarmte Madeleine fest.
«Tut mir leid», sagte er wieder. «Tut mir leid, tut mir leid.»
Besser fühlte sich Leonard in der Nähe von Leuten, die sich genauso quälten wie er. Den Sommer über blieb er mit einigen Patienten in Kontakt, die er im Krankenhaus kennengelernt hatte. Darlene war in die Wohnung eines Freundes in East Providence gezogen, und dort besuchte Leonard sie ein paar Mal. Sie wirkte hyperaktiv. Sie konnte nicht still sitzen und redete nonstop ohne allzu viel Sinn. Immer wieder fragte sie: «Und du, Leonard, geht’s dir gut?», ohne eine Antwort abzuwarten. Einige Wochen später, Ende Juli, rief ihre Schwester Kimberly bei ihm an und sagte, Darlene gehe schon seit einer Weile nicht ans Telefon. Zusammen fuhren sie zu der Wohnung, wo sie Darlene mitten in einem psychotischen Schub vorfanden. Sie bildete sich ein, dass ihreNachbarn etwas ausheckten, damit sie aus dem Haus geworfen würde. Dass man beim Vermieter Gerüchte über sie verbreitete. Sie hatte Angst, aus der Wohnung zu gehen, sogar den Müll wegzubringen. Es roch nach verdorbenem Essen, und Darlene hatte wieder angefangen zu trinken. Leonard musste Dr. Shieu anrufen und ihr die Lage schildern, während Kimberly Darlene überredete, zu duschen und frische Kleider anzuziehen. Irgendwie bekamen sie Darlene mit panikgeweiteten Augen ins Auto und brachten sie ins Krankenhaus, wo Dr. Shieu schon die Papiere für die Wiederaufnahme fertig machte. In der nächsten Woche ging Leonard tagtäglich in der Besuchszeit zu ihr. Meistens war Darlene vollkommen weggetreten, aber er fand es tröstlich, sie zu besuchen. Während er dort war, vergaß er sich selbst.
Das Einzige, was Leonard den Rest des Sommers überstehen ließ, war die Aussicht, dass danach Pilgrim Lake kam. Anfang August traf ein Brief vom Labor ein. Darin befand sich auf schön bedruckten Seiten, jede mit einem so profiliert geprägten Briefkopf, dass er nahezu topographisch wirkte, Informationsmaterial. Ferner ein Schreiben an «Mr. Leonard Bankhead, Forschungsstipendiat», von David Malkiel persönlich unterzeichnet. Die Sendung beschwichtigte Leonards Ängste, die Verwaltung könnte von seiner Einlieferung erfahren haben und sein Stipendium widerrufen. Er las die Liste der Forschungsstipendiaten und der Colleges, die sie besucht hatten, und fand seinen Namen genau da, wo er stehen sollte. Neben den Informationen über die Wohntrakte und andere Einrichtungen enthielt der Umschlag ein Formular, in das Leonard seine «bevorzugten Forschungsbereiche» eintragen sollte. Die vier Forschungsgebiete in Pilgrim Lake waren: Krebs, Pflanzenbiologie, Quantitative Biologie sowie Genomik und Bioinformatik. Leonard schrieb hinter Krebseine 1, hinter Pflanzenbiologie eine 2, hinter Quantitative Biologie eine 3 und hinter Genomik und Bioinformatik eine 4. Das war keine große Sache, aber das Formular auszufüllen und an das Labor zurückzuschicken war Leonards erste Leistung in diesem Sommer und das einzige greifbare Anzeichen dafür, dass er eine universitäre Zukunft hatte.
Als sie am letzten Augustwochenende in Pilgrim Lake eingetroffen waren, vermehrten diese Anzeichen sich stark. Sie bekamen den Schlüssel zu einem geräumigen Apartment. Die Küchenschränke waren mit nagelneuem Geschirr und fast neuen Töpfen und Pfannen bestückt. Im Wohnzimmer standen ein Sofa, zwei Stühle, ein Esstisch und ein Schreibtisch. Das Bett war groß genug für zwei, und alle Lampen
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