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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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hauptsächlich damit beschäftigt, seine Krankheit zu verbergen. Sobald Leonard die DNA präpariert hatte, musste er sie elektrophoretisch auswerten, was das Hantieren mit der Gelgießschale erforderte. Er musste immer warten, bis Jaitly und Beller ihm den Rücken zuwandten, bevor er versuchte, den Kamm aus der Agarose zu ziehen, denn nie wusste er, wie schlimm der Tremor von einem Augenblick auf den anderen sein würde. Wenn er es geschafft hatte, die Gele zu laden und sie etwa eine Stunde laufen zu lassen, musste er die Proben mit Ethidiumbromid anfärben und die DNA unter U V-Licht sichtbar machen. Und wenn ihm das alles gelungen war, ging es gleich weiter mit der nächsten Probe.
    Das war die allerschwierigste Aufgabe: die Proben in Ordnung zu halten. Einen DN A-Strang nach dem anderen zupräparieren und jeden einzelnen einzuordnen, zu etikettieren und zu lagern, und das trotz seiner flackernden Aufmerksamkeit und der Bewusstseinslücken.
    Jeden Tag zählte er die Minuten, bis er gehen konnte. Das Erste, was er abends nach dem Heimkommen tat, war unter die Dusche springen und die Zähne putzen. Danach, wenn er sich vorübergehend sauber fühlte und keinen schlechten Geschmack im Mund hatte, wagte er es, sich neben Madeleine auf dem Bett oder Sofa auszustrecken und seinen dicken, matschigen Schädel in ihren Schoß zu legen. Für ihn war es die schönste Zeit des Tages. Manchmal las Madeleine ihm aus dem Roman vor, den sie gerade las. Wenn sie einen Rock anhatte, legte er seine Wange auf ihre seidenweichen Oberschenkel. Jeden Abend zur Essenszeit sagte Leonard: «Lass uns hierbleiben.» Aber jeden Abend zwang Madeleine ihn, sich anzuziehen, und sie gingen in den Speisesaal, wo Leonard versuchte, sich seine Übelkeit nicht anmerken zu lassen oder sein Wasserglas nicht umzustoßen.
    Ende September, als Madeleine sich zu ihrer Viktorianerinnen-Tagung aufmachte, fiel Leonard beinahe in sich zusammen. Während der gesamten drei Tage, die sie weg war, vermisste er sie sehr. Immer wieder rief er auf ihrem Zimmer im Hyatt an, und niemand ging dran. Wenn Madeleine anrief, war sie gewöhnlich in Eile unterwegs zu einem Dinner oder einem Vortrag. Manchmal hörte er andere Menschen mit ihr im Raum, glückliche, gut funktionierende Menschen. Leonard versuchte, Madeleine solange er konnte am Telefon zu halten, und sobald sie aufgelegt hatte, zählte er die Stunden, bis es ihm statthaft erschien, sie wieder anzurufen. Als es am ersten Tag langsam Zeit fürs Abendessen wurde, duschte er, zog frische Kleidung an und machte sich über die Strandpromenade auf den Weg in den Speisesaal, aber die Aussicht,sich mit Beller und Jaitly über irgendein technisches Thema auseinandersetzen zu müssen, bewog ihn dazu, sich stattdessen im 2 4-Stunden -Minimarkt im Keller des Speisesaals eine Tiefkühlpizza zu kaufen. Er erhitzte sie in seinem Apartment und schaute
Hill Street Blues
. Am Sonntag rief er wegen seiner zunehmenden Angstzustände Dr.   Perlmann an, um ihm zu schildern, wie er sich fühlte. Perlmann gab in der Apotheke in Provincetown ein Rezept auf Lorazepam per Telefon durch, und Leonard lieh sich, um das Medikament abzuholen, Jaitlys Honda, sagte allerdings, er besorge sich ein Antiallergikum.
    Hier war er also, nach dreieinhalb Wochen Stipendium, nahm Lithium und Lorazepam ein, schmierte sich morgens und abends einen Klacks Preparation H zwischen die Hinterbacken, trank mit seinem morgendlichen O-Saft ein Glas Metamucil und schluckte bei Bedarf eine Tablette gegen Übelkeit, deren Namen er vergessen hatte. Mutterseelenallein in seinem herrlichen Apartment, unter den Genies und Möchtegerngenies, am Ende des sich spiralförmig eindrehenden Landes.
    Am Montagnachmittag kam Madeleine strahlend vor Begeisterung von der Tagung zurück. Sie erzählte ihm von den neuen Freundschaften, die sie geschlossen hatte, mit Anne und Meg. Sie sagte, sie wolle sich auf die Viktorianerinnen spezialisieren, obwohl Austen eigentlich zum Regency gehöre und nicht darunterfalle. Sie schwärmte davon, Terry Castle kennengelernt zu haben und wie brillant Terry Castle sei, und Leonard war erleichtert, als er dahinterkam, dass Terry Castle eine Frau war (und dann weniger erleichtert, als er dahinterkam, dass sie Frauen mochte). Verglichen mit Leonards plötzlichen Zukunftsängsten, wirkte Madeleines Vorfreude auf die Zukunft geradezu sprühend. Er war jetztmehr oder weniger normal, mehr oder weniger gesund, aber er spürte nichts von seiner üblichen

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