Die Liebeshandlung
Madeleine zusammengetan hatte und sich einen Stapel Schnappschüsse aus ihrem Schreibtisch ansah, stieß Leonard auf etliche, auf denen der junge Waits drauf war. Verstörend viele sogar.
«Wer ist
das
?», fragte er.
«Das ist Mitchell», sagte sie.
«Mitchell und weiter?»
«Grammaticus.»
«Ach ja, Grammaticus. Ich war mit ihm in einem religionswissenschaftlichen Seminar.»
«Typisch.»
«Du warst mit ihm zusammen?»
«Nein!», widersprach Madeleine.
«Auf dem hier kuschelt ihr aber heftig.» Leonard hielt ein Foto hoch, auf dem Grammaticus’ Lockenkopf in Madeleines Schoß lag.
Stirnrunzelnd nahm sie das Foto und legte es zurück in den Schreibtisch. Sie erklärte, dass sie Grammaticus seit dem ersten Semester kenne, sie aber einen Streit gehabt hätten. Als Leonard fragte, worüber, reagierte sie ausweichend und sagte, das sei kompliziert. Als er fragte, was daran so kompliziert sei, gab sie zu, dass sie und Grammaticus immer eine platonische Beziehung gehabt hätten, jedenfalls von ihrer Seite, er aber in letzter Zeit «irgendwie in sie verliebt» und dann gekränkt gewesen sei, weil sie seine Gefühle nicht erwidert habe.
Diese Information hatte Leonard damals nicht weiter beunruhigt. Er hatte Grammaticus nach tierischem Maßstab abgeschätzt – Geweihgröße gegen Geweihgröße – und sichdeutlich im Vorteil gesehen. Im Krankenhaus jedoch, mit massenhaft Zeit, begann er sich zu fragen, ob nicht mehr an der Geschichte gewesen war. Er stellte sich vor, wie Grammaticus’ satyrhafte Gestalt von hinten auf Madeleine draufkletterte. Das Bild von Grammaticus, der Madeleine vögelte, oder von Madeleine, die ihm einen blies, enthielt die richtige Mischung aus Pein und Erregung, um Leonard aus seinem Zustand sexuellen Abgetötetseins wachzurütteln. Aus Gründen, die er nicht begreifen konnte – womöglich hatte es mit einem Bedürfnis nach Selbsterniedrigung zu tun –, erregte ihn die Vorstellung, wie Madeleine ihn fröhlich mit Grammaticus betrog. Um die Krankenhauslangeweile zu unterbrechen, quälte er sich mit dieser perversen Phantasie und holte sich auf der Toilette einen runter, wobei er mit der freien Hand die Tür ohne Schloss zuhielt.
Sogar nachdem er und Madeleine wieder zusammen waren, hörte er nicht auf, sich auf diese Weise zu quälen. Am Tag seiner Entlassung brachte ihn eine Krankenschwester hinaus, und er stieg in Madeleines neues Auto. Auf dem Beifahrersitz angeschnallt, fühlte er sich wie ein Neugeborenes, das Madeleine zum ersten Mal mit nach Hause nahm. Die Stadt war während seiner Zeit im Krankenhaus um einiges grüner geworden. Sie sah hübsch und träge aus. Die Studenten waren weg, der College Hill war menschenleer und friedlich. Sie fuhren in Leonards Wohnung. Von da an lebten sie zusammen. Und weil Leonard kein Baby, sondern ein ausgewachsener kranker Wichser war, verbrachte er jede Abwesenheit von Madeleine damit, sich vorzustellen, wie sie ihren Tennispartner im Umkleideraum lutschte oder es im Magazin der Bibliothek besorgt bekam. Eines Tages, eine Woche nach seiner Entlassung, erwähnte Madeleine, sie habe am Morgen der Abschlussfeier zufällig Grammaticusgetroffen und sich mit ihm versöhnt. Grammaticus sei dann in seine Heimatstadt zurückgekehrt, um bei seinen Eltern zu wohnen, aber sie habe viel mit ihm telefoniert, während Leonard im Krankenhaus gewesen sei. Sie sagte, sie werde alle ihre Ferngespräche bezahlen, und nun ertappte er sich dabei, wie er die Telefonrechnungen der New England Bell nach Anrufen mit Vorwahlnummern im Mittelwesten überprüfte. Kürzlich hatte Madeleine alarmierenderweise das Telefon mit ins Bad genommen, bei geschlossener Tür gesprochen und ihm anschließend auseinandergesetzt, sie habe ihn nicht stören wollen. (Wobei? Beim Im-Bett-Liegen, beim Fettansetzen wie ein Kalb in der Mastbox? Beim Lesen des immer gleichen Absatzes in
Der Antichrist
, den er bereits dreimal gelesen hatte?)
Ende August fuhr Madeleine nach Prettybrook, um ihre Eltern zu besuchen und ein paar Dinge von zu Hause mitzunehmen. Kurz nach ihrer Rückkehr erwähnte sie beiläufig, dass sie Grammaticus getroffen hatte, in New York, auf dem Sprung nach Paris.
«Du hast ihn ganz zufällig getroffen?», fragte Leonard von seiner Matratze aus.
«Ja, mit Kelly. In irgendeiner Bar, in die sie mich mitgenommen hat.»
«Hast du mit ihm gevögelt?»
«Was?!»
«Kann doch sein, dass du mit ihm gevögelt hast. Kann doch sein, dass du einen Typen willst, der keine
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