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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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war Kalkutta. Mitchell ging durch die Chowringhee Road, blickte an den Gebäuden hinauf, wiederholte eine Formulierung, die er von Gaddis behalten hatte,
die Ansammlung von Zeit in Wänden
, und dachte bei sich, dass die Engländer eine Bürokratie zurückgelassen hatten, die von den Indern nur noch komplexer gemacht worden war, indem sie in die Finanz- und Regierungssysteme die Myriaden von Hierarchien des Hindu-Pantheons mit all den Stufen um Stufen des Kastensystems eingeführt hatten, sodass einem das Einlösen von Reiseschecks so vorkam, als defilierte man vor einer Reihe von Halbgöttern: Einer prüft den Pass, ein anderer stempelt den Scheck ab, ein anderer macht eine Kopie der Transaktion, während wiederum ein anderer den Betrag ausschreibt, bevor man das Geld vom Kassierer ausgehändigt bekommt. Alles dokumentiert, überprüft, gewissenhaft abgelegt und dann für immer vergessen. Kalkutta war eine Hülse, die Hülse des Weltreichs, und aus dieser Hülse strömten neun Millionen Inder. Unterder kolonialen Schale der Stadt lag das wirkliche Indien, das uralte Land der Rajputen, Nawabs und Moguln, und auch dieses Land brach aus den Gärten und Gassen hervor, und in manchen Augenblicken, besonders abends, wenn die Musikverkäufer auf ihren Instrumenten spielten, war es, als wären die Engländer nie da gewesen.
    Es gab Friedhöfe voller toter Engländer, ganze Wälder verwitterter Obelisken, auf denen Mitchell nur einige wenige Wörter erkennen konnte.
Lt. James Barton, Gatte von. 1857   –   18––. Rosalind Blake, Gattin von Col. Michael Peters. Entschlafen im Herrn 1887.
Tropische Schlingpflanzen überwucherten die Grabstellen, und Palmen wuchsen neben Familienmausoleen. Der Kies war von zerbrochenen Kokosnussschalen übersät.
Rebecca Winthrop, acht Monate alt. Mary Holmes. Gestorben im Kindbett
. Die Statuen waren viktorianisch und aufwendig. Engel mit ausgewaschenen Gesichtern wachten über Gräbern. Apollotempel mit eingestürzten Säulen und schiefen Giebeln beherbergten die Überreste von Bediensteten der East India Company.
An Malaria. An Typhus.
Ein Friedhofswärter kam, um zu sehen, was Mitchell machte. Es gab in Kalkutta keinen Ort, an dem man allein sein konnte. Sogar ein verlassener Friedhof hatte seinen Wächter.
Entschlafen im Herrn. Entschlafen im. Entschlafen.
    Am Sonntag ging er noch früher los, blieb fast den ganzen Tag auf den Straßen und kam erst zum Nachmittagstee zurück ins Guest House. Auf der Veranda neben einer Topfpflanze nahm er ein neues blaues Aerogramm aus seinem Rucksack und machte sich daran, einen Brief nach Hause zu schreiben. Teils weil er seine Aerogramme als Erweiterung seines Tagebuchs verstand und daher mehr an sich selbst als an seine Familie schrieb, teils unter dem Einfluss von Mertons Gethsemani-Tagebüchern waren Mitchells Briefe aus Indien höchstsonderbare Dokumente. Er schrieb alles Mögliche nieder, um herauszufinden, ob es wahr sein könnte. Einmal niedergeschrieben, vergaß er es. Er brachte die Briefe zur Post und schickte sie ab, ohne einen Gedanken daran, was für einen Eindruck sie zu Hause in Detroit auf seine verwirrten Eltern machen würden. Diesen Brief begann er mit einer ausführlichen Beschreibung des Mannes mit der Staphylokokkeninfektion, die dessen Wange auffraß. Das mündete in eine Anekdote über einen Leprakranken, den Mitchell am Tag zuvor auf der Straße hatte betteln sehen. Und das ging über in eine Erörterung der über Lepra kursierenden Missverständnisse und der Tatsache, dass sie eigentlich gar nicht «so ansteckend» war. Danach schrieb er schnell eine Karte an Larry in Athen und gab als Absenderadresse die Heilsarmee an. Er holte Madeleines Brief aus dem Rucksack, dachte darüber nach, was er antworten solle, und steckte ihn wieder weg.
    Während Mitchell zusammenpackte, erschien Rüdiger auf der Veranda. Er setzte sich und bestellte eine Kanne Tee.
    Nachdem sie gebracht worden war, sagte er: «Nun sag mir mal. Warum bist du nach Indien gekommen?»
    «Ich wollte an einen Ort, der anders ist als Amerika», antwortete Mitchell. «Und ich wollte als Freiwilliger für Mutter Teresa arbeiten.»
    «Du bist also hier, um gute Werke zu verrichten.»
    «Um es zumindest zu versuchen.»
    «Das mit den guten Werken ist interessant. Ich bin Deutscher, also kenne ich mich mit Martin Luther aus. Das Problem ist, egal, wie sehr wir versuchen, gut zu sein, wir sind nicht gut genug. Deshalb sagt Luther, man muss durch den Glauben

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