Die Liebeshandlung
verkrebste Körper auf der Steinbank wäre der Leib Christi. Er badete den Mann so sanft wie möglich, reinigte die Stelle rund um den Tumor, die giftig gerötet war und aus der Blut sickerte. Er versuchte, alles zu tun, damit der Mann sich weniger schämte, und ihn in seinen letzten Tagen spüren zu lassen, dass er nicht allein war, nicht gänzlich, und dass die beiden Fremden, die ihn, wie ungeschickt und ungeübt auch immer, badeten, sich trotzdem alle Mühe gaben.
Nachdem sie den Mann abgespült und abgetrocknet hatten, legte der Bienenzüchter einen neuen Verband an. Sie zogen ihm ein frisches Hemd über und trugen ihn zurück auf die Männerstation. Als sie ihn in sein Bett legten, starrte er immer noch blicklos und vor Schmerzen zitternd nach oben, als wären sie gar nicht bei ihm gewesen.
«Okay, vielen Dank», sagte der Bienenzüchter. «Hier, bring diese Handtücher doch in die Wäscherei, ja?»
Mitchell nahm die Handtücher, nur leicht beunruhigt bei dem Gedanken, was wohl an ihnen haften mochte. Alles in allem war er stolz auf das, was sich gerade abgespielt hatte. Als er sich über den Wäschekorb beugte, warf das vorschwingende Kreuz einen Schatten an die Wand.
Gerade wollte er noch einmal nach dem kleinen Jungen sehen, da erblickte er den Agronomen. Der angespannte zierliche Mann saß aufrecht im Bett; seine Haut war noch erheblich gelber geworden als am Freitag zuvor, sodass ihmdas Gelb sogar in die Augäpfel sickerte, die verstörend orange aussahen.
«Hallo», sagte Mitchell.
Der Agronom sah ihn scharf an, sagte aber nichts.
Da Mitchell keine guten Nachrichten über die Dialyse-Aussichten zu verkünden hatte, setzte er sich aufs Bett und fing ungefragt an, dem Agronomen den Rücken zu massieren. Er rieb ihm Schultern, Hals und Kopf. Als er nach fünfzehn Minuten fertig war, fragte er: «Kann ich noch etwas für Sie tun?»
Der Agronom schien darüber nachzudenken. «Ich möchte scheißen», sagte er.
Mitchell war sprachlos. Aber bevor er irgendetwas antworten oder tun konnte, tauchte ein lächelnder junger Inder vor ihnen auf. Es war der Barbier. Er hielt eine Rasierschale, einen Pinsel und ein Rasiermesser hoch.
«Jetzt wird rasiert!», verkündete er aufgeräumt.
Ohne weitere Vorbereitungen begann er die Wangen des Agronomen einzuschäumen.
Der hatte nicht die Energie, Widerstand zu leisten. «Ich muss scheißen», sagte er wieder, etwas dringlicher.
«Rasieren, rasieren», wiederholte der Barbier, sein einziges Englisch.
Mitchell wusste nicht, wo die Bettpfannen aufbewahrt wurden. Er fürchtete sich vor dem, was geschehen würde, wenn er nicht bald eine fand, und er fürchtete sich vor dem, was geschehen würde, sollte er eine finden. Er drehte sich um und hielt nach Hilfe Ausschau.
Alle anderen Freiwilligen waren beschäftigt. Keine Nonnen in der Nähe.
Als Mitchell zurückkam, hatte der Agronom ihn völlig vergessen. Seine Wangen waren eingeschäumt. Er schlossdie Augen und verzog das Gesicht, während er verzweifelt, wütend und erleichtert sagte: «Ich scheiße jetzt!»
Der Barbier, ganz absorbiert, fing an, ihm die Wangen zu rasieren.
Und Mitchell setzte sich in Bewegung. Obwohl er bereits wusste, dass er diesen Moment lange, womöglich den Rest seines Lebens bereuen würde, und trotzdem unfähig war, dem süßen Impuls zu widerstehen, der ihm durch alle Nerven jagte, ging er zum Ausgang des Heims, direkt an Matthäus 25,40 vorbei und die Stufen hinauf zu der hellen, gefallenen Welt darüber.
Auf der Straße wimmelte es von Pilgern. Aus dem Kalitempel, wo sie noch immer Ziegen schlachteten, hörte er Becken schlagen. Sie schwollen zu Crescendos an und verstummten. Mitchell ging gegen den Fußgängerstrom weiter zur Bushaltestelle. Er blickte sich suchend um, ob ihm jemand folgte – ob der Bienenzüchter hinter ihm her war, um ihn zurückzuholen. Aber niemand hatte ihn weggehen sehen.
Der verrußte Bus war noch voller als sonst. Da Mitchell nicht einmal auf dem Trittbrett Platz fand, musste er zu einer Gruppe junger Männer auf die hintere Stoßstange steigen und sich festklammern. Einige Minuten später, als der Bus im Verkehr zum Stehen kam, kletterte er nach oben auf den Gepäckträger. Die Passagiere dort, ebenfalls jung, lächelten ihn an, belustigt darüber, dass ein Ausländer auf dem Dach mitfuhr. Während der Bus dem Hauptgeschäftsviertel entgegenrumpelte, schaute Mitchell auf die unten vorbeiziehende Stadt. Banden von Straßenkindern bettelten an den Ecken.
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